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Mein Seil habe ich gewaschen, meinen Gurt, meine Schuhe, Karabiner und eigentlich auch alles sonstige. Meine Kamera tuts nicht mehr und ein neues Handy habe ich auch schon.
Als ich Sonntagnacht nach einem letztem Blick auf den Satellitenfilm und das Regenradar zufrieden mit Alexander ins Auto stieg, da war es 23:45 Uhr und es begann (erwartungsgemäsz) zu regnen. Schon auf den ersten Kilometern nach Süden sahen wir am Himmel über den Bergen sensationelle Leucht-Erscheinungen und als wir bei Bregenz vor lauter Regen kaum noch Sicht hatten, half nur noch Beharren auf der gestellten Prognose gegen keimende Zweifel. Aber hinter dem Ambergtunnel war es warm und trocken wie gedacht und nachdem wir im Montafon die Einschlüpfung nach Gargellen gefunden hatten war alles gut.
Schon vom Hüttenparkplatz sahen wir im hellen Mondschein die Silhouette der Madrisa. Da sollte es raufgehen: |
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Karte, Kompass, Höhenmesser und der Weg zum ersten Zielpunkt war eine schnelle und sichere Sache, die uns planmäszig um 4 Uhr an den Gandasee brachte. Wir stehen unter der Nordseite der Madrisa, die im Dämmer ohne erkennbare Gliederung vor uns aufragt. Alexander hat Probleme mit seiner Schlafökonomie und nickt bei der Rast schnell und immer wieder ein. Um den Führer zu verstehen, legen wir mit dem Kompass erst einmal den Nordostgrat auf der Karte fest. |
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Ist nicht sehr "übersicht"lich und bedeutet wohl, zusammengelesen mit der "Zugang"sbeschreibung den Nordostgrat nun umgehen. Das versuchen wir, lassen dabei immer mehr Höhe und verlieren uns wie der Grat irgendwo in den "Alpenrosenhängen", die zwar überwiegend Wiese sind, aber dennoch am richtigen Platz. |
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Die erwähnten Grattürme hatten wir vermutlich von der Nordseite schon gesehen aber da es heisst: "... der östl. Ast, über welchen der Anstieg leitet..." machen wir weiter, gehen weiter in Richtung Süd und nach oben. Wiese, Rinne mit Alpenrose, Erle, Gratschulter, Wiese, Rinne mit Alpenrose, Erle, Gratschulter und so weiter. Hinter uns (wir sind also auf der Ostseite) kann sich die Sonne nicht gegen die Wolken durchsetzen und es bleibt etwas trübe. Und so geht es mit dem Ansteigen weiter: über Gras, ein schuttiges Band, Gras, ein paar Blöcke, ein Band und irgendwann beginnt der Fels. Da wir uns unter den Grattürmen glauben, ist die Strategie einfach. Erstmal an den ersten Gratturm und dann weitersehen. |
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Eine Plattenwand kommt nicht in Sicht und wir wissen, dass wir nicht auf dem "richtigen" Weg sind als wir den ersten (dritten) Turm erreichen. Die Sicherungsmöglichkeiten sind mehr als bescheiden und Alexander sichert an einem miserablen Schlingenstand meine Erkundung. Eine Knotenschlinge hängt in einem Riss macht Hoffnung, und ich klettere auf den Turm um Aussichten zu gewinnen. Über den geht es nun wirklich nicht hinab - höchstens im Flug und die Schlingensicherung macht mir einige Sorge, weil ich schon auf der anderen Seite bin und an der Schlinge (bestenfalls) Zug nach unten gehalten werden kann. Auch auf der südlichen Seite kommt nichts Ermutigendes in Sicht. Aber über uns! Hier kann ich sehen, wie von Westen die Wolken dichter und dunkler werden, obwohl es erst kurz nach 9 Uhr ist.
Etwas frustriert beschliessen wir den Rückzug, nachdem uns auch klar geworden ist, dass die vorgefundene Knotenschlinge wohl demselben Zweck gedient haben mag. Dann geht es zügig mit dem Abseilen los. Leider eine Länge nur und dann tropft es leise auf das Seil. Also einpacken und den Rest abklettern, dabei immer südlich halten, weil wir doch noch so gerne eine Plattenwand mit einem Einstieg sehen wollten. Südöstlich unter dem Gratturm finden wir eine Rinne, in der es flott abwärts geht. Gerade dort, wo die Rinne ins freie Gelände ausläuft, dort steht ein groszer Block mit einer talwärts zeigenden Scharte. Da wollen wir jetzt ganz schnell hin, denn binnen Sekunden schwappt die dunkelweisse Wolkensuppe über die Kämme auf uns zu, das gelinde Tröpfeln verdichtet sich schlagartig zu heftigem Gieszen und kaum dass wir in unserer Scharte stehen, eröffnet der erste laute Knall ein Feuer- und Wasserwerk. Schon im Guss noch schnell den Rucksack runter und das Handy aus. Und noch sowas wie: "Das wird übel."
Die Temperatur fällt um zwanzig oder mehr Grade, es knallt und rauscht direkt neben uns in der Rinne, wo Wasser und Gischt die Steine runtertreiben. Donnerschläge geben den Bass und Brocken, die auf unserem Block aufschlagen, zerplatzen dazu in einem wilden Stakkato. Regen und Wasser, das über unseren Block schieszt sind so dicht, dass wir heftig nach Atem ringen und Erstickungsangst haben. Doch aus dem Schutz wollen wir nicht raus, denn neben uns poltern und spritzen Blöcke und Steine talab. Dann beginnt es zu hageln. Von Kirschkerngrösze bis Haselnuss prasselt es auf unsere Helme. Die umliegenden Wiesenhänge werden weiss, als hätte es geschneit. Eng beisammen stehen wir, halten uns und die Rucksäcke fest und zittern. In den Fingern und Armen schwindet das Gefühl und es schmerzt stattdessen. Vorsichtig bewegen wir unsere Hände, reiben und massieren, so gut es geht. Und dann verabschiedet sich der Donner, der Regen pegelt sich auf Normalstärke ein und die Steine ringsum haben ihre wilde Talfahrt beendet. Die Rinne ist nur noch ein Bach und wir machen uns auf den Weg nach unten.
Helme und Skistöcke sind auf dieser Tour die wertvollsten Begleiter, denn die steilen Wiesen sind nicht nur nass, sondern auf und unter dem Gras liegt noch der Hagel. Eine elende Rutscherei bringt uns Hang nach Hang wieder hinunter. Noch eine letzte steile Rinne und der Weg ist erreicht. Irgendwann zwischendrin hat der Regen aufgehört und es wird wieder wärmer. Auf der Strasze dann stellt sich etwas Angenehmes ein: das Wasser in den Schuhen wird warm. Etwas schlapp aber zufrieden kommen wir zum Auto, zur trockenen Wäsche. Die Rucksäcke werden geleert und der Inhalt in der Sonne ausgebreitet. Dreck und Gesteinsstaub hängt an allen Teilen und die Unterhose ist dunkelgrau wie die T-Shirts. Wasser kommt auch aus den Teleskopstöcken und ich glaube jetzt, dass mein Rucksack tatsächlich 35 Liter fasst. Trocken allein blieb der Inhalt der "Erste-Hilfe-Tasche".
Dienstag war zuhause groszer Waschtag. Rucksäcke, Karabiner, Seil - einfach alles. Dann das Erlebte nochmals durchsprechen, Wunden lecken. Was haben wir falsch gemacht? Ganz schwierig: besserer Regenschutz hätte nicht geholfen, besseres Ausschlafen nichts gebracht. Eine verlässliche Tourenbeschreibung, ein Gewitter erst am Nachmittag; ja, wäre besser gewesen. Aber so betrachtet kommt man nur an Tagen mit bestem Wetter auf Routen, die man schon kennt. So wie es war, haben wir Grösze und Gewalt der Natur in den Bergen erlebt, haben unsere Unzulänglichkeiten neu betrachtet und uns gefreut, auch dieses Abenteuer geschenkt zu bekommen. |
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