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Laliderer Nordkante Herzogkante
Wandhöhe etwa 700m
etwa 25 Seillängen IV+
15. August 2001


Zusammen mit Alexander Abfahrt erst nach Geschäftstermin gegen 15:00 Uhr möglich. Zuerst nach Ronsberg zu Sport- Schindele und von dort über die Dörfer weiter mit verschiedenen, teilweise erfolgreichen Einkäufen.
Es fand sich die passende Musik um in der schwindenden Nachmittagssonne das Allgäu zu durchrauschen. Zwischendrin wurde klar, dass nicht mehr an ein Essen auf der Hütte zu denken wäre. Dieser Gedanke brachte uns dann nach Garmisch in einen Wok-Imbiss. Gut abgefüllt und wohlig begannen wir dann die letzte Etappe ins bereits dunkelnde Karwendel.


Schon zu Beginn der Mautstrasze von Wallgau, wo wir dank der vorgerückten Stunde der Einhebung entgingen, verbreitete sich ein Duft sommerlicher Nachtromantik: ruhiges Dahingleiten unter besterntem Himmel durch die angebrochene Nacht. Dann Lagerfeuer im Fluss und erwartungsfrohe Spannung steigert den Rausch, angefüllt mit Erinnerungen an die letzten Touren mit Mireia. Und dann doch ein Ende, der Parkplatz Eng, beleuchtet und belebt vom Gasthof gegenüber und den letzten Wanderern. Noch eine Familienzusammenführung von besorgten Eltern mit dem seit Stunden überfälligen Sohn.

Um 21:00 Uhr beginnt dann die Tour wirklich. Letzter Blick auf die Wanderkarte, umziehen, Rucksack hoch und los. Trotz der zwanzig Kilo auf dem Rücken waren wir vollgepumpt mit guter Laune, und der mit zwei bis zweieinhalb Stunden veranschlagte Aufstieg erschien uns nur als kleiner abendlicher Spaziergang und angemessene Vorübung zum nächsten Tag. Die Lalidererkante als Schattenriss bereits im Blickfeld kamen wir zügig voran.
Meine Skepsis begann damit, dass wir auch nach einiger Strecke kaum Höhe gewannen und verdichtete sich zu düsterer Besorgnis beim Überschreiten einer Brücke. Die letzte Hoffnung endete dann wie der Weg in Kuhtritten und der Erkenntnis, dass die vermutete Kante doch nicht unsere gewesen sein konnte. Bis zum letzten Abzweig also wieder zurück, den Frust verarbeiten, anderthalb Stunden Schlaf abschreiben und erneuten Anlauf nehmen.
Dann war sie auch ganz schnell da, die Steigung und die Anstrengung. Und nach einer weiteren Stunde erschien auch promt die wirkliche Lalidererkante in der Ferne. Der Autor der Gehzeit wurde mit einem angemessenen Fluch bedacht, an den sich Überlegungen über seine Kondition, sein Gepäck, Spekulationen über das Gewicht seiner Ausrüstung und die Wetterbedingungen anschlossen. Mit munteren Beschäftigungen dieser Art vertrieben wir uns die Zeit beim Aufstieg. Von Nicole kam noch eine SM an: sie gehe nun ins Bett und Grüsze – lustig das alles.
Aber gegen 1:00 Uhr stand dann wirklich die Falkenhütte auf dem Hügel vor uns. Wegen der vorgerückten Stunde, den vagen Andeutungen des Hüttenwirtes und der lauen Sommernacht machten wir es uns im Garten unbequem. Im Sandwich zwischen Rucksack und Rettungsdecke überstanden wir in unruhigen Schlummer die paar Stunden bis zum Frühstück leidlich, wenn auch nicht komfortabel ausgeschlafen.


So fiel der geplante frühe Aufbruch der späten Ankunft und dem Frühstück zum Opfer, was aber angesichts des wolkenlosen Himmels keineswegs beunruhigend war. Der Kaffee wurde eingedenk des Vorhabens ein fast feierlicher Genuss und bald danach waren die Rucksäcke gewechselt und nach einem letzten respektvollen Blick von gegenüber machten wir uns auf den Weg.
Der Zustieg lief über ein Firnfeld, ein wenig gröszer als erhofft und hart dazu. War ohne Steigeisen nicht so schnell mal eben zu machen. Das ermöglichte uns jedoch die Beobachtung einer Seilschaft, die bereits am Einstieg war, als wir noch zum Frühstück gingen. Da hing der Nachsteiger im ersten Riss (IV+) gute zwanzig MInuten fest, was bei mir einige Gedanken auslöste. Aber mein inneres Bollwerk gegen Entmutigung hielt. Auch der erste Haken wurde ohne Sucherei gleich gefunden, was die Stimmung genauso beflügelte wie die Aussicht auf langsames Ansteigen der Schwierigkeiten, was mir wesentlich mehr liegt als die Schlüsselstelle in der ersten Seillänge. Mit Respekt vor der Mächtigkeit der Kante und auch weil Alexander im Nachstieg blieb, kamen wir nicht sonderlich schnell voran, behielten aber so genügend Kraftreserven, was sich später noch als ausgesprochen glückliche Fügung erweisen sollte.
Der erste schwierige Riss war nach meiner Meinung mit IV+ etwas unterbewertet. Die Überhänge verursachten prompt einen ersten kleinen Schweissausbruch und das dazugehörige Ächzen. Das brachte Verständnis auf für die erste Seilschaft, stärkte aber auch die Zuversicht, da wir keineswegs so lange brauchten.
Nach den ersten sechs Seillängen stellte sich heraus, dass meine Zählung mit den im Topo angegebenen Schwierigkeiten nicht in Einklang zu bringen war, und ich stellte die Abhakerei ein, womit allerdings auch die Orientierung dahin war und durch fortwährende Schätzung und Spekulation ersetzt wurde. Während weiter unten noch einige Haken zu finden waren, wurden es mit zunehmender Länge immer weniger und friends und Klemmkeile kamen zum Einsatz. Eine zeitraubende Angelegenheit, da die Ankündigung im Topo "teilweise brüchiges Gestein" sich als allzu wahr herausstellte. Das war auch das Haupthindernis der Klettergeschwindigkeit, denn jeder Griff, jeder Tritt musste in Augenschein genommen, geprüft und dann immer noch mit Vorsicht benutzt werden. Wer hier an Griffen zieht, wird es bis zum Gipfel - oder zurück - endlich gelernt haben. Trotz grösster Vorsicht habe ich auf dieser Route gleich zwei Trittausbrüche gehabt, was mir bis dahin nicht passiert war. Glücklicherweise blieb das ohne Folgen, verschärfte aber die Anspannung doch ein wenig. Etwa in der Mitte der Strecke wurde ohne Appetit gevespert, wobei auch der Gedanke deutlich wurde, dass an einen Abstieg am gleichen Tag nicht mehr zu denken ist. In der Schlucht nebenan setzte nun andauernder Steinschlag ein, und unsere Vermutung wurde später bestätigt, als die erste Seilschaft unten auf dem Schotterfeld wieder sichtbar wurde.

Der Fortgang der Route war im Topo mit III+ bis IV angegeben und erschien mir zunächst als angenehme Erholungsphase, in der ich hoffte, auch wieder etwas Zeit zu gewinnen, denn nach wie vor war die Kondition gut, das Wetter wie bestellt und das Bewusstsein darauf eingestellt, dass nun das Dickste hinter uns liegt.
Entsprechend grosz war dann die Verwunderung, als ich nach der nächsten Seillänge eine gröszere Anzahl Haken über mir sah. Merkwürdigerweise waren die auf zwei möglichen Wegen und noch dazu kreuz und quer gesetzt. Richtig, beim genauen Hinsehen wurde Manches klar. Da hatten schon welche vor mir in Krisenstimmung genagelt und wer diese Stelle mit IV bewertet ist ein Spinner. So war die Wiedersehensfreude mit den so lange vermissten Freunden sehr zwiespältig und von kurzer Dauer. Nicht alle waren nutzbar, da manche auch im Meterabstand quer zueinander eingeschlagen waren. Hier ging es dann zur Sache und nicht nur auf fünf Metern.
Nach dieser kraft- und nervenraubenden Passage hatte dann auch unsere Stimmung ein dickes Loch, durch das wir weder auf den Gipfel noch auf den Wandfusz blicken konnten. Eine etwas angespannte Athmosphäre trat schlagartig an die Stelle der ruhigen Gelassenheit. Die Bemerkung, man bräuchte für diese Tour eine "gefestigte Vorstiegsmoral" erhob sich plötzlich aus dem Unverständnis und nahm deutliche Formen an. Hätte ich auch nur eine Möglichkeit zum Notausstieg gesehen, hätten wir es versucht und leichten Herzens auf den Gipfel verzichtet. Einfach sitzenbleiben? Ein Hubschrauberflug? Auch die Sonne verlor langsam den Spasz an uns und zeigte mit rotgoldener Farbe die Absicht ihres Verschwindens an. Noch ein, zwei qualvolle Seillängen und sie war ihrer Ankündigung gefolgt. Auf seltsame Weise war dies aber die Befreiung. Nachdem klar war, dass dies nun zu Allem auch noch dazugekommen ist, setzte stoische Ruhe und kühle Vernunft wieder ein und machte dem Spuk ein Ende. Von allen denkbaren Möglichkeiten war "einfach weitermachen" nun klar die sinnvollste, zumal wir auch gerade am Umstieg vom Grat in einen Riss in der Nordwand angekommen waren und nur noch verlockend wenige Seillängen uns vom Gipfel trennten. Leider konnte sich Alexander bis dahin nicht vorstellen, dass man eine Helmlampe zum Klettern mitnimmt und war so dem Seil und der Dunkelheit überlassen, während mir das in der vorigen Nacht bereits gut beanspruchte Licht zur Verfügung stand. So kam ich dann zu meinen ersten Überhängen mit Beleuchtung, wobei mir zwar ein Klemmkeil verloren ging, die wiedergewonnene Zuversicht aber keinen Schaden davontrug.
Als zusätzliches Problem im oberen Drittel ist das Fehlen von Sicherungsmöglichkeiten erwähnenswert. Keine Risse, kaum Felsenköpfe und irgendwer hat die wenigen Standhaken plattgehauen. Im Gipfelbereich dann loses Gestein von erheblichem Umfang und Ausmasz. Wegen des rauhen Gesteins auch eine Seilreibung, die mir schon mittags erste Krämpfe in den Unterarmen eintrug.

Aber all das ist nicht wichtig, denn wir sind oben. Tatsächlich. Kein Kreuz, kein Gipfelbuch, nur ein halber Steinmann in Gesellschaft einer langweiligen Aluminiumkiste. Und jede Menge frischer Wind. Keine Zeit für Siegerposen, sondern hektische Suche nach dem Abstieg. Der schwächer werdende Leuchtfinger der Helmlampe zeigt aber nur eine unendlich scheinende Schotterwüste, in der sich gerade noch die Idee eines Weges abzeichnet. Also da mal runter. Und weiter runter und der Wind macht uns Beine. Wie weit weg soll das Biwak denn sein? So weit unten? Abzweig verpasst? Wieder rauf! Neu suchen. Den selben Weg wieder runter. Und wenn es noch so falsch ist, wir werden absteigen bis wir aus dem Wind sind. Doch dann, nach dem Ende der Hoffnung taucht sie doch noch aus dem Dunkel auf: die Biwakschachtel und es ist viertel vor zwölf.

Eine schöne andere Welt. Aussen Blech und innen Wärme und Windstille. Sitzen, durchatmen und sich still freuen. Über uns die Sterne, sie strahlen durch die grosze Glaskuppel und verleihen dem Szenario wieder den romantischen Glanz des Vortages. Wohlige Entspannung verbreitet sich und mit zufriedenem Lächeln werden die Rucksäcke inspiziert. Da kommen noch eine Dose Fisch, etwas Brot und ein paar Müsliriegel zum Vorschein. Aber auch jetzt ist Essen nur Pflicht. Allein der Durst bestimmt die Lageeinschätzung. Nach dem wirklich langen und heissen Tag ist der Wasservorrat bis auf einen letzten Liter eingedampft. Und den hätte jeder von uns ein paarmal leeren können. Glücklicherweise fiel uns noch eine warme Dose Bier in die Hände, die nach ein paar Minuten im Wind schon Kühlschranktemperatur hatte und wirklich ein Genuss war. Es gab keine Probleme mit dem Einschlafen.

Laut Routenbeschreibung sollte der Abstieg etwa zwei bis drei Stunden dauern und da die Sonne wieder strahlte, brachen wir gegen halb neun ausgeruht und guter Dinge wieder auf. Da das Biwak in östlicher Richtung lag, der Abstieg jedoch westlich vom Gipfel, gingen wir zunächst wieder dorthin zurück um einen Weg in westliche Richtung zu finden. Dies gestaltete sich ausserordentlich schwierig, da die Trittspuren im Geröll teilweise sehr schwach waren. So erreichten wir erst nach etlichen Fehlversuchen und zwei Stunden Lauferei den ersehnten fetten Abseilring. Nach der ersten Abseillänge hatten wir dann den letzten dicken Frust der Tour zu verarbeiten: jede Menge Schotter, in Rinnen und auf dem Fels und das noch fünfhundert Höhenmeter weit nach unten. Nur sechs echte Abseilstellen und langwierige, langweilige und gefährliche Abkletterei im total verschotterten Gelände.
Erst kurz vor drei erreichten wir völlig ausgedörrt und mit bitterem Geschmack im Mund die Falkenhütte. Zunächst wurde die Getränkekarte faktisch durchgearbeitet und bis wir dann beim Kaffee angelangt waren, hatten sich einige Hüttengäste eingefunden, die an unseren Erzählungen sehr interessiert waren. Man hatte am Abend zwar noch unsere Lampen gesehen, da aber weder Rufen noch Signale erkennbar waren, sah man sich nicht zum Handeln veranlasst. Noch einige Male wurden wir angesprochen und während des Abendessens sonnten wir uns noch etwas in der unerwarteten Popularität, die durch kurze Blicke und Debatten an anderen Tischen zum Ausdruck kam. Als Schlusspunkt des Abends setzte noch ein heftiges Gewitter das Nebengebäude durch die geschlossenen Fenster hindurch unter Wasser.

Der Abstieg von der Hütte war der erste völlig unspektakuläre Vorgang auf der Tour. Trotz des hohen Tempos - wir fühlten uns frisch - benötigten wir eindreiviertel Stunden, was die Behauptung einer Aufstiegszeit von zwei bis zweieinhalb Stunden als etwas absurd erscheinen liess. Unten angekommen begleiteten uns ob der Rucksackgrösze und des Tempos noch einige verwunderte Blicke der Spaziergänger zum Auto. Meine Kletterschuhe haben dermaszen gestunken, dass wir sie beim Reserverad aufbewahren mussten.