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In Katalonien



Am Sonntagmorgen schauten wir uns an und wussten: heute ist der Sommer vorbei, es ist Herbst geworden. Zelt abbauen, zum Frühstück traben, auf den Bus warten, der Abschied aus den Pyrenäen. Es ist warm wie immer, auch ungewiss wie immer dieser Tag, heute wissen wir nicht, wie wir nach Girona kommen. Der Bus bringt uns nach Bourg- Madame, dem letzten französischen Dorf. Dahinter Puigcerda, spanisch, und schwer auszusprechen ohne die Zunge einzuklemmen. Wir nehmen die Bahn nach Vic, der Schweinestadt, denn nach Girona geht kein Bus am Sonntag. Der Zug holpert und wankt uns durch grüne Berge näher zur Stadt und zum letzten Tag. Die Luft wird dicker. Wir schweigen und fühlen, wie die letzten Tage Vergangenheit werden.
An den Anfang zurück? Wenigstens an den Anfang dieser Geschichte. Statt wandernd und kletternd durch die Alpen zu ziehen, sollte ich nach Spanien kommen.
Zürich schwitzt wie ich in der schon lange andauernden Sommerwärme. Und dann hoch und weg, ein letzter Grusz meiner Berge auf dem Weg ins deutsche Ferienland.


Wie ein Hammer trifft mich die schwere Hitze in Barcelona. Stehe in der Franco-Architektur des Flughafens, warte auf das Gepäck, finde dies und mich dann scheibchenweise wieder und dann werde auch ich gefunden. Mireia ist da. Mir ist mulmig. Wir schleppen die Alukiste und den schweren Rucksack in die nächste Bahn. Ich bin schon völlig durchnässt und geniesze wie alle die Klimaanlage in der Bahn. Nur eine knappe halbe Stunde und wir tauchen aus der U-Bahn wieder auf, sind auch schon wirklich angekommen. Ein sehr freundlicher Empfang, duschen, umziehen, etwas Melone und dann wieder in die Stadt, denn ich soll ja auch was sehen in zwei Tagen Groszstadt. Wir sollen herumkommen und natürlich ist Gaudí nicht nur für Touristen ein Thema in Barcelona.


So geht es dann auch folgerichtig erst einmal zum "Temple de la Sagrada Familia". Ein zentraler Ort des Tourismus und eine Baustelle von Beginn an. Gewaltig ist der Tempel und eine architektonische Kathedrale, doch die Gottesdienste werden an bescheidenem Ort gehalten. Die Suche nach einer Formensprache verlief sich - im Leeren. Vielleicht sprechen sie ja aber ich sehe nur einen verspielten Jugendstil, der sich an dieser und jener Stelle ein Stück Mystizismus einverleibt hat. Einige vereinzelte Elemente reichen bis hinter die Alltags-Wahrnehmung, aber sie wecken etwas Dämonisches. Hier wie bei den anderen Bauwerken bestimmen kaum verwandelte florale Details und ein, sich immer wieder zeigender Drache eine grosze Rolle. Etwas sprachlos gelassen beglotze ich die in der ganzen Stadt eingesprenkelten Bauwerke Gaudís und fühle mich nicht so sehr erbaut. Aber natürlich bin ich da, um verstehen zu lernen, nicht um zu meckern.








Heilig oder Dämonisch? Wenn ich es richtig verstanden habe, dann traut auch Mireias Vater der Sache nicht so ganz und neigt mehr zur dämonischen Interpretation. Staunenswert in jedem Fall. Verwöhnt von anderen Heiligtümern und ganz unter dem Eindruck der groszen Stadt versuche ich mich beeindrucken zu lassen, auch wenn es meinem Gemüt keine rechte Nahrung sein will.

Und natürlich gehen wir auch auf die Meile. Die heisst hier "Rambla" und ist die übliche groszstädtische Fuszgängerstrasze, gedrängt voll mit Touristen. Man spricht deutsch, englisch und sieht genau so käsig aus. Am Rande gibt es Handleser, Akrobaten und Verkäufer, einige illegale mit aufmerksamen Blick auf die vorbeifahrende Polizei. Und schauspielernde Attraktionen. Zur Skulptur erstarrt stehen Engel wie Teufel auf Sockeln und liefern neben ihrer künstlerischen Darstellung ein Gleichnis vom modernen Menschen: Man gibt etwas Geld und dann bewegen sie sich - eine Weile.
Es gibt noch mehr Straszen. Sie zerschneiden die Stadt in Quadrate und nur noch ein kleiner Bereich Altstadt hat die Ordnungswut überstanden. Aber das muss am Meer enden. Nur noch eine Rambla, die "Ramblas del Mar" und dahinter das Meer. Könnte ja schön sein, doch hier hat sich Barcelona mit einem modernen Zentrum der Unterhaltung bestückt. Discos, Kneipen und IMax-Kino wollen auch noch das Meer verstädtern und versperren mir den Blick, der nach irgendwas sucht. Hinter mir, auf einem hohen Sockel steht Cristobal Colon und weist mit groszer Geste in die neue Welt. Aber sein Schiff (ein Nachbau) steht ohne Räder irgendwo in der Garage.


Das Wetter wird auch von einheimischer Bevölkerung als ungewöhnlich warm empfunden und so versuchen wir am nächsten Tag in den Park Güell zu fliehen. Ein ganzer Park von Gaudí. Und hier habe ich dann nichts mehr verstanden. Ein ganzer Berg ist vollgebaut mit Park. Häuser, Arkaden, Wege, etwas schwiemelig und überfrachtet - kein Platz zum Ausruhen. Sieht aus, als wollten Neu-Reiche protzen. Keine Wiese, keine Kühle, keine Ruhe und die Hitze dröhnt.
Dort, wo im Park Häuser stehen, sind noch mehr Menschen, setzen sich in Mosaikbänke, in denen man nicht entspannt sitzen kann und lassen sich vor dem berühmten Kacheldrachen fotografieren. Hier finde ich auf Hinweis von Mireias Vater einen groszen Fliegenpilz auf dem Dach. Vielleicht hat Gaudí davon zuviel konsumiert (meint Mireias Vater), und ich kann mir vorstellen, der kennt sich vielleicht aus damit. An diesem Ort trifft mich der Gedanke, dass ja auch Hundertwasser mit ganz ähnlichen Elementen in seiner Architektur arbeitet. Vielleicht haben die den selben Steinbruch geplündert?


(oben auf dem Dach thront er, ein groszer, fetter Fliegenpilz)





Dann aber endlich genug mit Gaudí. Eine Ausstellung über die Nubier interessiert uns und bringt uns an einen wirklich erfreulichen Platz, das "Caixa Forum". Hier gibt es endlich einmal angenehme Architektur, in der man sich frei gelassen fühlt. Und ganz uninteressant ist die Ausstellung auch nicht. Noch einige Zeit danach probieren wir Körperhaltung und Fuszstellung der Statuen, um uns einen Eindruck vom Lebensgefühl der Darstellung zu verschaffen. Das haben wir vor der groszen Fontäne des "Font de Montjuïc" getan, die vor dem "Palau Nacional" eine ganze Allee von Springbrunnen krönend abschlieszt. In der lastenden Hitze findet man hier einen kleinen Platz zum Atmen. Besonders schön wird es dort am Abend, wenn alles Wasser in Licht getaucht wird.




Es folgt ein Bummel durch die Altstadt. Die ist auf römischen Ruinen gebaut und ist von der quadratischen Ordnung ausgenommen. Durch schmale Gassen, etwas düster und beklemmend gehts ein paar Treppen rauf und runter und im Hinterhof stehen dann drei römische Säulen, die korinthische Kapitelle kopieren. Das scheint irgendwie der Keim der Stadt zu sein: Römer kopieren Griechen, Spanier kopieren Rom und das Franco-Regime kopiert das Ganze wiederum - uncharmant. Um die Ecke ein Sommerpalast von Isabel der Katholischen, im Vergleich zu römischen Palästen irgendwie armselig. Hier sollen dem Colon die Orden verliehen worden sein. Neben dem Hauptstrom des Tourismus immer wieder ruhige Gassen, die sich dann zu einem beschaulichem Ort öffnen. Ein Innenhof mit Brunnen, einer Bank und einem Baum. Während ich noch die merkwürdige Stimmung aufzunehmen versuche, erklärt mir Mireia, dasz während der Franco-Zeit an diesem Ort eine Hinrichtungsstätte war. Aufmerksam geworden habe ich dann etwas fassungslos die noch sichtbaren Einschusslöcher an der Wand gesehen. Das Foto nebendran habe ich auch nicht selbst gemacht sondern aus dem Fremdenführer entnommen. Die hatten anscheinend weniger Probleme damit. Wir aber waren in einer unentschiedenen Stimmung: stumpfsinniges Rumlatschen, prall gefüllt mit Sonne, blöde verträumt, mit Kopf und Herz eher anderswo. Mein Erwachen an diesem Ort war unersprieszlich. Die Einschüsse fast spürbar.



Am Abend streife ich allein durch die Stadt. Es ist halb zwölf und 31° Grad im Schatten. Kinder spielen am Strand. Die Heimreise mit der U-Bahn ist kein Problem. Dann wieder eine Nacht. Ich liege auf dem Rücken und dem Bett, die Augen geschlossen, Schweiss dringt aus allen Poren. Aufstehen, etwas trinken, weiterschwitzen, auf dem Balkon sitzen und rauchen und so weiter bis der Morgen kommt.

Erlösung naht. Heute verlassen wir die Stadt, wir haben eine Mitfahrgelegenheit nach Llança ganz im Westen, kurz vor der französischen Grenze. Hier gibt es auf der Halbinsel mit gleichem Namen den Naturpark "Cap de Creus". Hier beginnt auch der GR 11, "Senda Pirenaica" und hier soll es auch mit uns endlich losgehen. Das Klima hat sich schon etwas verbessert und im Haus von Freunden lerne ich katalonische Toasts mit Tomate abzureiben und mit Olivenöl beträufeln. Endlich können wir - bei offenen Türen und Fenstern im ganzen Haus - einmal schlafen. Früh aufgewacht besuche ich den noch menschenleeren Strand. Das ist angenehm erfrischend, lässt Urlaubsstimmung erahnen und weckt die Lebensgeister.




Ja, jetzt weg, einkaufen und stadtbummeln in Llança, Rucksack einsortieren und dann los. Aber nur ein kurzes Stück. Erst einmal ans Meer. Das Meer ist da, wo die Leute sind. Die Leute finden es schön, bei warmen Wetter herumzuliegen, in das Meer hineinzugehen und darin herumzuschwimmen. Auch parken sie ihre Boote zwischen dem Strand und dem Ausblick. All das zusammen verursacht viel Lärm und Aufregung. Doch wir gehen ja weiter, dahin, wo es schön aussieht und nicht mehr die Menschen auf dem Sand liegen. Wir mögen die Felsen, das Schroffe und das Ruhige. Dort angekommen, legen sich manche in den Schatten, andere springen in das Meer und versuchen oben zu bleiben, so wie ich versuche unten zu bleiben. Die Sonne wandert und nimmt meinen Schatten mit, die Wellen machen unentwegt Geräusche und irgendwie leidet die Stimmung. Dann kommt der grosze Moment und aus den Tiefen des Rucksacks zaubere ich meine Badehose hervor. Die hat vielleicht in fünfzehn Jahren hundert Meter auf dem Tacho und sieht aus wie neu. So präpariert und vor See-Igeln gewarnt klettere ich ganz nah ran an das Meer, denk nochmal daran, dass man schwimmen angeblich nicht verlernt und dann springe ich in das Meer. Das ist warm und nass. Ich mache auch Bewegungen und gehe vermutlich deshalb nicht unter. Ich lege mich auf den Rücken, Brustschwimmen, Kraulen nach vorn, dann nach hinten, einen Moment treten, es geht. Noch eine kühlere Stelle gibt es zu erforschen und dann gehts mit einer Bruchlandung zurück ans Ufer. Wie immer: mich hat's am Felsen aufgeschrammt aber See-Igel sind mir erspart geblieben.

Langsam wird die Stimmung wieder auf normales Masz aufgeblasen und wir sind auf der Strasze mit allem Drum und Dran. Nur ein kurzes Stück noch von Autos begleitet, dann neben der Bahn entlang über die Brücke und dann das erste Schild: GR 11. Und das soll unser Weg der nächsten Tage sein.


In dieser Gegend hat es immer wieder gebrannt und man sieht der Vegetation diese Vergangenheit deutlich an. Nur wenige grosze Bäume ragen aus dem sonst gleichmäszig kleinen und bescheidenen Bestand heraus. Das Grün ist eher braun und etwas Hoffnungsloses und Alleingelassenes geht von der Landschaft aus. Auch wir sind etwas schlaff, nicht zum Plaudern aufgelegt. Der Weg ist ein Feldweg, staubt und zwanzig Kilo im Rucksack sind bei dieser Hitze nicht einfach zu überspielen. So zieht sich der Nachmittag dahin und die ersten zwölf Kilometer wurden eine sehr lange Strecke. Durch hügeliges Bergvorland geht es fast ohne Schatten und auch das Auge wird nicht gereizt, höchstens die Stimmung. Schlapp aber voller Hoffnung auf ein Ende der Etappe mit Dusche und Essen und Trinken erscheint dann hinter der Biegung ein Dorf: Vilamaniscle. Grosz genug für die Aussicht auf ein Zimmer. Doch leider wird nichts daraus und zum nächsten Ort, Garriguella, sind es noch vier Kilometer Landstrasze, die mit müder werdenden Füszen aber ständig besser werdender Laune bewältigt werden. Wir sind da, egal wo, wir haben zu essen und der Campingplatz hat eine Dusche.



Irgendwie musste unsere Reise beginnen und weshalb denn nicht so? Wir sind zufrieden. Wir schlafen.

Am nächsten Morgen dröhnt uns gleich wieder die Sonne ins Zelt. Bei einem "café con leche" am Pool beschlieszen wir, unsere Strategie zu ändern. Die Berge werden uns (wie schon oft) retten. Wir blättern im Campingführer und schauen auf die Karte. Der "Pic de Canigou" ist der nächste hohe Berg aber es gibt keinen Camping. So entscheiden wir uns für den "Puigmal", auch in Frankreich, gleich hinter der Grenze. Der ist zwar etwas weiter weg, aber es gibt Campingplätze. Hinkommen würden wir mit dem Bus von Girona, wenn wir es zuvor nach Figueres schaffen. Ausgestattet mit einer Empfehlung für ein örtliches Taxi marschieren wir zur Kreuzung nach Figueres und halten den Daumen raus.
Es wird Mittag, Mireia hat keine Lust mehr auf die Feigen, die sie vom Baum holen kann, ich habe einen schönen Haufen Müll am Straszenrand zusammengetragen und bin auch damit fertig. Das Gehirn kocht. Wir rufen das Taxi. Zuerst mal werden wir nicht gefunden, weil wir an der alten, der falschen Strasze stehen. Dann geht es im Expresstempo nach Figueres, dann werden wir abgezockt und dann an einer Tankstelle rausgelassen. Bis zum Busbahnhof ist es nicht mehr weit und erfreulicherweise kommt der Bus noch heute und auch recht bald.

In Girona ist die Wartezeit etwas länger. Hauptsache aber ist, wir kommen noch heute weiter. Die Wartezeit nutze ich, für den Rückweg ein Auto zu reservieren. Das ist einfach weil der Herr hinter dem Pult gut englisch spricht: "...and Your driving license, please..." Na klar, ich ziehe das graue Ding aus der Tasche und will es überreichen. Der Führerschein war allerdings mit mir in der Madrisa-Waschmaschine. So musste ich die zusammengeklebten Seiten erstmal vorsichtig auseinanderziehen. Das machte das Photo genauso. Auf der einen Seite ist jetzt das Papier, auf der anderen das Bild, spiegelverkehrt und von hinten. Naja, es ging trotzdem.




Am späten Nachmittag sitzen wir wieder im Bus. Stimmung? Wir blöden uns an, Mireia versucht wie viele zu schlafen, ich schaue aus dem Fenster. Es ist früher Abend als wir in "Puigcerda" ankommen. Die Straszen sind nass, wir sind auf 1300 Metern und fast angekommen. Mireia fragt Leute und hat wieder eine Taxi-Empfehlung. Aber diesmal klappts und für 14 Euro kommen wir bis nach "Err" und werden vor dem Campingplatz herausgelassen.





Der Verwalter ist sehr nett, das Gras ist nass, wir frösteln, packen Jacken und Zelt aus. Heute haben wir ausnahmsweise einmal Hunger und fragen den Verwalter nach dem nächsten Restaurant. Ins Gespräch hinein fährt ein Auto, der Wirt vom Restaurant sitzt drin und meint, an einem Tag mit Gewitter macht er früher zu, weil ja doch keiner kommt. Wir drehen um, haben noch ein Brot aus Privatbesitz geschenkt bekommen, denn unsere Vorräte sind karg. Es ist schon dunkel als ich den Kocher anwerfe. Nudeln mit Tomatensosze, dazu Brot mit Tiefkühl-Kern, eine Dose Ölsardinen, na toll! Noch ist es aber nicht gelaufen, denn zum ersten Mal seit vielen Jahren besteht mein Kocher auf einer Betriebsstörung - will nicht so recht brennen. Wir haben Hunger und die Nudeln müssen doch irgendwie gar werden. Nach zwanzig Minuten gespannten Schweigens kippen wir den Rest Tomatensosze in die weissliche Brühe. Versalzen ist es, klebt zusammen, hilft aber etwas gegen Hunger. Wir sind müde, ausgelaugt, unbefriedigt und müssen doch ins Zelt.

Dann gute Nacht!

Am Morgen erkunden wir erst einmal die Lage. Es gibt frisches Obst vom Mini-Markt, Kaffee auf der Terrasse. Endlich Zeit für ein Gespräch - auf dem Spielplatz - den wir ganz für uns allein haben. Das macht gute Laune. Die Karte sagt, wir sind in der Cerdagne in Frankreich. Fahnen und Wimpel an den Straszen sind gelb und rot, sagen uns so, wir sind immer noch in Katalonien. Ich erfahre auch, dass es vier rote Streifen auf gelbem Grund sind. Diese stammen von den blutigen Fingern von Jaime dem Ersten, "El Conquistador" - Heldenblut eben. Wir beschlieszen, uns wegen der dürftigen Infrastruktur zum nächsten Campingplatz zu verlagern.




Saillagouse ist nur ein paar Kilometer entfernt, hat einen netten Camping, man kann einkaufen und den Morgenkaffee kriegen wir auch. An den Hängen des "Puigmal" entspringt die Segre und flieszt auf ihrem Weg nach Lleida durch den Ort. Dort, in Lleida haben wir auch schon zusammen am Flusz gestanden. Aber wir wollen keine Sentimentalitäten pflegen, sondern einfach nur die Quelle in den Bergen besuchen.
Endlich tritt sowas wie Urlaubsgefühl ein. Einkaufen, ein kleiner Spaziergang am Nachmittag, am Abend gibt es Pizza und "Crema Catalán", ein süszer Pudding mit einem aufgebrannten Karameldeckel. Das war nicht nur gegen den Hunger gut sondern trägt ganz wesentlich zur Entspannung bei.


Unser geplantes groszes Ziel ist der Puigmal, 2910 m über dem Meer. Wir fühlen uns trotz der Rucksack-Schlepperei in den letzten Tagen deutlich weniger als fit und sind ja auch gerade erst vom Meer gekommen. Wir akklimatisieren uns mit einem lockeren Spaziergang der Segre entlang. Das bringt uns nach Llo, dem Ort, in dem die Strasze endet. Dann kommt noch ein Schwimmbad, darin ein Cafe, und darin versorgen wir uns in den nächsten Tagen mit Kaffee. Nach dem Cafe kommen Schilder, zur Segre-Quelle und: "Via Ferrata des Escaldilles". ? ? ?. Unser Kletterzeugs haben wir natürlich nicht dabei, mal ansehen wollen wir uns das doch. Und so kann es gehen: plötzlich sind wir auf dem Klettersteig. Hat mich auch gewundert doch zum Ansehen muss man genauso Eintritt zahlen wie zum Klettern und die Ausrüstung gibt es auch gleich am Eingang zu mieten. So wie immer binde ich die Karabiner am Gurt fest, damit sie nicht immer herumbaumeln und stören, denn das ist gefährlich. Zwei Stunden sollte das dauern und wenn wir nicht ein paar Kletterer überholt hätten, dann wärs ja vielleicht hingekommen. Oben dann gibt es ein paar Ruinen und Aussicht.



'Wir mögen die Felsen, das Schroffe' und sind deshalb gern in den Bergen (und am Meer) und manchmal zieht das auch durch unsere Gespräche, denn wir machen ja nicht nur Urlaub.
Aber am nächsten Tag geht es wieder ins Segre-Tal. Ein munterer Bach begleitet uns den Berg hinauf. Schön, mal am Ufer im Schatten zu sitzen. Weiter oben verlässt dann der Weg den Bach aber wir bleiben stur und folgen dem Bach. Hier hätten wir eigentlich schon unsere erste Lektion in "Wege" lernen sollen. Da sind denn ein paar Farbmarkierungen, der Weg wird schmaler, das Tal enger, die Böschungen steiler und die Wegmarken weniger. Dann hören sie auf und wir stehen im Weglosen. Aber wir hören den Bach und wie wir es gewöhnt sind, machen wir den Weg beim Gehen. Ein Wasserfall beendet diese Extratour. Zurück geht's zum Abzweig und diesmal nehmen wir einfach den Weg nach oben. Irgendwann haben wir genug und schauen in die Runde, sehen auf dem Hügel nebenan Pferde. Kühe in den Bergen sind wir gewöhnt, doch Pferde..?





Rechts der Gipfel des Puigmal

Ein paar Tage sind vorbei. Dann kommt der grosze Tag: auf den Puigmal wollen wir. Dazu geht es erst einmal nach Err und um den Asphalt zu vermeiden schlängeln wir uns an der Bergflanke rauf und runter. Sonntagsjäger laufen überall herum, ein Hund begleitet uns länger als er sollte. Und wir landen dann doch auf dem Zubringer für Skitouristen. Heiss heute. Die Kommunikation funktioniert auch nicht, obwohl wir nur ein paar Meter nebeneinander gehen. Es ist Mittag, als wir die Strasze endlich verlassen und der Bergpfad beginnt. Wir vermuten uns auf rund 2500 m und die Sonne brennt hier nicht mehr, sie sticht jetzt. Die Luft ist dünner geworden, der Rucksack schwerer. Wir machen eine kurze Rast am Bach, Mireia nickt ein.
Was wir für den Puigmal halten, ist jetzt in Sicht. Dann quälen wir uns steil bergauf. Die Berge hier sind älter als die Alpen und verlieren ihre Kinder überall hin. Erst nur Schotter, dann gröszere Steine. Man mag kaum glauben, dass man schon so hoch ist. Nichts Spitzes ragt heraus. Die letzten hundert Meter sind extralang. Alle paar Meter bleibe ich stehen und hole etwas dünne Luft. Dann kommen Leute und wir werden über den tatsächlichen Gipfel aufgeklärt. Der steht etwas weiter südlich, bestimmt noch 800 m zu gehen, wenn auch nicht mehr so hoch über uns. Lust ist sowieso keine mehr da und wir begnügen uns mit dem "Coll de Finestres". Finster wie der Name ist das Klima. Wir sitzen am Pass und schauen zu beiden Seiten hinunter. Um uns ist es kalt geworden.

Wir aber können Wunder. Wir schauen wieder nach einiger Zeit gemeinsam in eine Richtung. Wir sehen keinen Weg, wollen aber trotzdem an der anderen Seite ins Tal zurück. So beginnt ein hartes Stück Arbeit. Auf Wildwechseln und weglos gehen wir ins Segre-Tal hinunter. Eine Stunde und wir treffen auf einen Weg. Anlass zur Rast. Wir sitzen rum, haben wieder zu lachen und wir entdecken doch noch die Quelle der Segre. Mireia sitzt drauf und ich mache Fotos. Dann soll ich auch ins Bild. Oh je, jetzt kommt wieder der Trick mit dem Selbstauslöser. Da müssen erst einmal ein paar Steine aufeinanderschichtet werden, zwanzigmal den Bildausschnitt korrigieren, die Kamera umwerfen, dann rumhetzen und entspannt lächeln bis das Vögelchen kommt. Schlieszlich klappt's doch noch mit uns beiden.
Gelöst und erholt machen wir uns auf, das letzte Stück zu bewältigen aber da wir nun einen Weg gefunden haben, voller Zuversicht. Die Sonne kommt wieder zum Vorschein und wir fühlen uns nicht mehr kalt.




Wir haben einen Weg, wir wissen ungefähr wo wir sind und so kommen wir gut voran, sollten nur noch ins richtige Tal absteigen. Wir kommen an aufgelassenen Wiesen vorbei, treffen wieder Pferde anstelle von Kühen und folgen der Beschilderung und den Steinmännchen. Das geht so lange gut bis die Verzweigung nach Err und Llo kommt. Beide Wege sind deutlich markiert und so wählen wir den besseren, der uns nach Llo, zum Kaffee bringen soll. Das geht lange einfach. Doch dann wird der Weg schmaler und die Markierungen seltener, wechseln auch manchmal die Farbe. Wir sind auf einem Kamm und wollen nach rechts, was lösbar erscheint, denn dort haben wir ja schon eine Strasze gesehen. Was soll ich sagen? Plötzlich fällt das Gelände steil ab. End of the line. Vereinzelte Markierungen sind noch zu finden. Doch drängt sich der Gedanke auf, die sind nur für Waldarbeiter und nicht für Wanderer. Es kommt, wie es kommen muss: zwei Stunden hüpfen, rutschen und fallen wir zwischen Bäumen und Sträuchern nach unten. Es geht langsam und ich weiss, dass irgendwo unten, kurz vor dem Weg die Felsabbrüche sind. Das Vertrauen in die mitgenommene Reepschnur und auf alpine Erfahrung mildert die Sorge. Unten hören wir den Bach, neben dem die Strasze verläuft. Nur noch einmal nach rechts einem Fels ausweichen, dem Bächlein zum Bach folgen und dann haben wir es geschafft. Es dämmert. Unsere Füsze sind ganz rund, das Tempo ist schneckenartig und es dauert sehr lange bis wir - am mittlerweile geschlossenen Cafe vorbei - uns nach Hause, zum Camping geschleppt haben.
Dunkel ist es inzwischen auch und als wir im Restaurant ankommen, gibt es anstatt des ersehnten Abendessens nur ein Kopfschütteln. Und einen Hinweis. Da ist noch ein Restaurant im Dorf. Das hat nicht nur noch geöffnet, sondern wir können froh sein, dass wir überhaupt einen Platz bekommen. Abgerissen und geschafft sind wir, was kein Problem am Eingang macht, und wir bekommen nicht einmal einen Platz am Klo. Gutes französisches Essen gibt es, mit groszer Freundlichkeit serviert und es schmeckt uns hervorragend. Ein passender Abschluss für einen Tag, an dem Versöhnlichkeit eine Rolle spielt. Es geht uns sehr gut.

Dann ist Sonntagmorgen und Herbst.
Vic, die Schweinestadt riecht tatsächlich an manchen Stellen. Wir wollen nach Girona und wenn es geht, dann heute noch. Trampen funktioniert nicht in Spanien - sagt Mireia. Wir suchen eine passende Stelle und nach einer halben Stunde sitzen wir im Auto, was uns bis nach Girona in die Innenstadt bringt. Der nette junge Mann hatte eben Langeweile und brachte uns noch zum Hotel. Am Abend gibt es ein schönes, italienisches Essen mit Gnochi und Pizza. Wir haben eine Menge Spasz mit dem Kellner und fühlen uns auf seltsame Art zu Hause. Die Luft lastet wieder schwer und passend zum Herbstbeginn gibt es ein Gewitter. Es ist Nacht und ich sitze im Fenster.
Nur noch ein Tag.


Dieser Tag ist geschäftig. Wir holen das Auto ab, fahren nach Llança zurück. Wir besuchen noch ein Benediktiner-Kloster im Parc Natural, holen uns dort den Schlüssel. Gepäck einladen, duschen, umziehen, Schlüssel zurückbringen. Wir versuchen ins Gespräch zu kommen, lassen uns die letzten Tage noch einmal durch die Seele ziehen. Wir sind nicht zufrieden. Schweigen. Barcelona haben wir durchquert und kommen nach Sitges, eine halbe Stunde vom Flughafen. Ein Urlaubsort am Meer. Bei einer bestimmten Sorte von Schwulen scheint die Stadt berühmt zu sein. Ich bin abgeschaltet und seh die nicht mal. Dann finden wir, der letzte Abend sollte etwas fröhlicher sein. Wir gehen in die Stadt, die Mireia ein Dorf nennt. Heute gibt es Urlauber-Essen, Paella nämlich. Die schmeckt ausgesucht köstlich.
Cap des Creus




Wir gehen zum Strand, sind fast allein dort. Die Luft ist lau und romantisch ist es heute am Meer. Das Wasser ist warm und verlockt uns. Schuhe ausziehen und durchs warme Wasser waten. Schön, sehr schön. Probleme sind heute nicht mehr zugelassen.
Wir hängen unseren Gedanken nach und dem Erlebten. Wie immer war es bergig, ging rauf und runter. Wie immer war es aufregend. Zehn Tage sind eine kurze Ewigkeit.

Am nächsten Morgen: zum Flugplatz, zurückfliegen. Damit endet diese Geschichte. Mireia wird weiter studieren in Deutschland.