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Kenya



Jomo Kenyatta Airport Nairobi nach elfeinhalbstunden Flugzeug. Es ist spät, es ist laut, es ist bunt, geht durcheinander und stinkt nach Benzin. Das Empfangskomitee ist nur klein (Danke) und bald bin ich mit drei Ladies im Auto verstaut. Eine Weile dauert es, bis wir wegkommen, denn die Strasze zum Flughafen ist mautpflichtig und die Abfertigung nicht so rasant. Dann rumpelts uns zügig vor ein groszes Tor und wir werden ins Utali-Staff-Village eingelassen. Hier werde ich bei Nancy wohnen, die im Utali-College Hotelfachkräfte ausbildet.
Der Rest des Abends ist mit essen und plaudern schnell vorbei und an die hohe Luftfeuchte gewöhne ich mich schnell, nur warm ist mir immer noch. Letzte Woche noch in Lech in verschneiten Bergen über den Schnee gerauscht, jetzt plötzlich im Sommer aufgeschlagen.
Am nächsten Morgen ist Samstag und ich bin früh auf den Beinen, gehe raus in den Park, barfusz und werde promt von anderen Barfüszlern angehauen, warum ich barfusz sei. Okay, hier bin ich der Neger, das löst Fragen aus. Aber ich soll beim Fuszballspiel mitmachen. Mag ich nicht und werde stattdessen von den Kids in Gespräche verwickelt. Sowas wie mich staunen die an. Das wird mich anhaltend begleiten.




was ich heute gelernt habe:
Jambo, Karibu , Asanti
es kann Probleme mit dem Strom geben
was wirklich grosze Schlaglöcher sind

Meine erste Lektion in Kiswahili gabs schon zuhause. Jambo steht in der Mail da, wo sonst "Hallo" steht und Karibu sagen auch die Schilder an der Strasze und das soll - wen eigentlich? - willkommen heissen. Ich bins mal, und man zeigt es mir.
Das Frühstück wird gebracht: sweet bread, Banane, arrow root und Tee oder Kaffee. Rogers hat frei und ich werde ins Auto gepackt. Sightseeing. Raus aus dem Estate, rein in den Verkehr, Richtung City. Auch hier fahren sie auf der falschen Seite, doch wenn ständig englisch gesprochen wird ist das schon in Ordnung. Hier gehts kunterbunt afrikanisch zu. Gefahren wird, wo Platz ist, meist zweispurig (es ist ein highway), mal einspurig hier oder da und manchmal auch dreispurig. Auf dem Mittelstreifen grasen Ziegen.


Wir besuchen ein Einkaufszentrum und ich kann mich umsehen. Wer reinfährt kriegt ein Plastikchip. Das soll sicherstellen, dass man nur mit dem Auto rauskommt, wenn man damit auch reingefahren ist. Die Preise sind für Europäer sehr gering. Ich brauch nix und hab sowieso noch keine Kenya-Shillings.
Bin bei Rogers zum Essen eingeladen. Dazu gehts die Thika-Road wieder runter und wir kommen nach Githurai 44, einem Aussenbezirk. Unterwegs lerne ich, was wirkliche Schlaglöcher sind. In der DDR hatte ich noch gestaunt, hier kann ich es weder glauben noch beschreiben. Ein Kleinwagen könnte plötzlich darin verschwinden. Wird noch übertroffen von den Reparaturarbeiten: Männer stehen auf der Strasze, werfen handballgrosze Steine rein und dreschen mit dem Vorschlaghammer drauf. Das hilft nicht wirklich. Vorschlagsweise halten sie mal den Autos die Hand entgegen.
Nach dem Essen muss Dennis dringend zum Friseur. Das hatte er sich aufgespart, weil deutsche Haarschneidemaschinen mit den Drähten auf seinem Kopf echte Probleme haben.

Ich stehe auf der Strasze und will ein paar Bilder einfangen, denn es lohnt sich: eine typische Vorortsiedlung in Nairobi. Die Häuser sind aus grauem Vulkangestein, eingeschossig meist, stehen dicht. Die Strasze ist Lehm und Schlamm und Müll, die Abwässer trielen dahin, Kinder spielen dazwischen.
Wegen der Bilder hatte ich mir Sorgen gemacht doch Rogers ermutigte mich sogar. Kaum aber hatte ich das wirklich kleine Ding dezent ausgepackt ruhten alle Blicke - ebenso dezent - auf mir. Viele interessante und treffende Motive sind mir so im Halse steckengeblieben. Das Beste fehlt.
Die Kids kommen aufs Bild doch auch mit Ermunterung bring ich es nicht übers Herz, einfach draufzuhalten. Braucht man ein Gemüt wie ein Fleischerhund für die sensationellen Schüsse?



Wir wollen noch ins Nationalmuseum und warten auf Dennis, warten. Rogers schleppt ihn schlieszlich ran. Dennis trägt jetzt eine Kappe. Das kam so, weil im Salon der Strom ausfiel. Das untere Stück vom Haarschnitt ist ganz fertig, eine Hälfte gut angefangen und die andere steht noch in voller Länge. Wir finden das lustig. Wann der Strom wiederkommt ist nicht klar.
Nationalmuseum schaffen wir grade noch vor Toresschluss. Ist nicht schlimm. Alles ist ein wenig düster und unsortiert. Gesteine, Flora, Fauna mit englischen Namen zu belegen fällt mir schwer. Ansehnlich ist eine kleine Kunstausstellung. Hier wird viel Dingewelt gezeigt aber einige Stücke sprechen zu mir in einer anderen Sprache. Ganz uneuropäisch, neu und gut. Schön!
Am Abend sitzen wir im Utali-Hotel beim Dinner. Für mich Fisch, mein erster Tilapia. Über Kenya wird gesprochen, vieles wird mir verständlich gemacht und meine Ohren gewöhnen sich langsam an den Akzent. Mein erster Tag als Tourist ist geschafft.

was ich heute vermisst habe:
Kontemplation im Gottesdienst
Gartenmöbel
Kaffee aus gemahlenen Bohnen


Sonntag ist Kirche und Kirche ist wichtig, also gehe ich auch hin.
Hier ist everyone a winner. An den Autos kündigen Aufkleber "Supernatural Harvest" an, das Motto des Jahres. Schon im Umkreis hört man den Prediger - unterstützt von Verstärkern und Lautsprechern - seine Arbeit tun. Wer im Gebäude keinen Platz mehr fand, der sitzt im Zelt vor dem TV und verfolgt den Gottesdienst dort. So können in drei aufeinander folgenden Gottesdiensten rund dreitausend Gläubige mit Wort und Lied versorgt werden.
Ich bin in der Kirche und erlebe meinen ersten afrikanischen presbyterianischen Gottesdienst. Das ist fremd. Der Predigt kann ich folgen, denn die ist in englisch und heftig. Immer wieder werden die Zuhörer zur Anteilnahme durch ein: "Praise the Lord" aufgerufen, was die Gemeinde mit "Halleluja" bestätigt. Das gesprochene Wort wird eingerahmt von einer Liturgie mit kleiner Bigband und flotten Melodien, wie sie auch im Fernsehen auf KTN breiten Raum einnehmen. Wir stehen auf und setzen uns, folgen dem Rhythmus, heben die Hände, verbeugen uns.
Wir sind Winner und im "Home of signs, wonders and miracles" und so werden nach den gemeindlichen Nachrichten Zeugen für die Wunder des Herrn aufgerufen. Da erfahren wir von wundersamen Heilungen, wie das Geschäft nach Gebeten erblüht und Familien durch die Kraft des Glaubens und die Gnade des Herrn zusammengehalten werden. Nach zwei Stunden ist es vorbei und hinterlässt bei mir Fragen - für später.
Nach der Kirche ist Sozialleben angesagt. Diana trifft eine Menge Freunde und Bekannte, Dennis und ich schleichen sich davon, auf die angrenzenden Straszen, wo Markt ist. Dennis erzählt mir von Erlebnissen mit Kappe im Kirchenzelt. War wohl nicht einfach, die während des Gottesdienstes gegen die Wünsche anderer einfach aufzubehalten.








Schon werden wir wieder ins Auto verfrachtet denn wir sind zum Lunch eingeladen. Es geht nach Ngong. Ngong? Hat mir Ulrike doch noch vor der Abfahrt was erzählt. Ich frage meine Mitfahrer und dann enthüllt sich das Bild: "Out of Africa" mit Meryl Streep, Robert Redford und Klaus Maria Brandauer spielt in den Ngong-Hills. Und der Film basiert auf einer wahren Geschichte, in deren Mittelpunkt die dänische Schriftstellerin Karen Blixen steht. Die Ngong-Road führt von Nairobia aus durch Karen, einen Vorort, der ihren Namen zur Erinnerung trägt. Und sogar ein kleines Museum in der Stadt Ngong soll es geben.
Noch'n Film? Auch mit authentischem Kern? Als die Engländer 1896 die Eisenbahnstrecke von Mombasa quer durch Kenia nach Uganda bauten, wurden beim Brückenbau eine Menge indische Arbeiter von zwei (weiblichen) Löwen gefrühstückt. Dafür wurden sie später ausgestopft und in ein Museum verbannt (die Löwen natürlich). ? Michael Douglas und Val Kilmer in: "Der Geist und die Dunkelheit".
Endlich gehts mal raus aus der Stadt. Raus in die Hügel. Ich kann mich garnicht sattsehen am groszartigen Himmel. Die Wolken, immer da, treiben in aller Ruhe dahin, ganz oben, ganz weit. Soviel Himmel. Das werde ich vermissen.


Es ist herrlichstes Wetter, angenehm warm und freundlich, es gibt einen Hof und einen Garten. Wir sitzen im Haus. Ich probe Autonomie und gehe spazieren, staune den Himmel an, die Felder mit all den exotischen Pflanzen, grüsze die Vorbeikommenden. Zum Tee muss ich doch wieder rein. Da wird gerade mein Kirchenbesuch gelobt, wie schön ich alles mitgemacht habe, soll garnicht europäisch ausgesehen haben. Bin ich ein Opportunist?
Das aber ist sicher, man schätzt es nicht, draussen zu sitzen.
Drinnen werde ich immer wieder was gefragt, soll mich über Kenya äussern und muss hier wie später immer wieder sagen: "I'm not here for business!" Alle sind sehr freundlich und zuvorkommend und als Dennis "Host-Dad" werde ich respektiert. Aber eigentlich will ich doch nur draussen sitzen.

was mich heute erstaunt hat:
Vorsicht beim Bankbesuch
Stadtverkehr
City-Center

Dennis und ich wollen heute in die Stadt. Im City-Center wollen wir bei der Bank etwas Geld besorgen. Eigentlich eine einfache Sache. Man steckt die Karte in den Schlitz, tippt ein paar Zahlen und unten kommt was raus. Falsch. Zuerst fährt man mit dem Auto auf den bewachten Parkplatz der Bank, holt die Mäuse aus dem Apparat und fährt dann wieder nach Hause. Danach kann man wieder in die Stadt. Sicherheitsmasznahme.

Security spielt hier eine wichtige Rolle. Vor dem Stadtbesuch bekomme ich Hinweise: das mobile beim Telefonieren festhalten, keine groszen Scheine im Geldbeutel sehen lassen, wenn es dämmert, ab nach Hause.
Angeschärft bin ich sowieso schon, denn man macht sich nun mal Gedanken, wenn nicht nur am Eingang zu jedem Estate sondern auch vor jedem Wohnblock in der Stadt ein Stahltor mit Wachmann installiert ist. Die Autos haben in Spiegel, Blinker, Scheiben und Scheinwerfer die Autonummer eingeätzt. Die Räder sind mit Schlössern und Verschraubungen gesichert. Sowas soll in Minuten verschwinden können.




Alles geht glatt. Ich habe mich in den Besitz von 100,000 Shillings gebracht, was etwa 110 Euro sind. Mit skeptischem Blick und Dennis Begleitung kann ich nun selbstätig in die Stadt. Mein erster fahrerfreier Ausflug.


Das Matatu ist das wichtigste Verkehrsmittel. Das sind kleine Busse, meist japanischen oder koreanischer Herkunft. Die sind billig zu kriegen und haben auch das Steuer auf der falschen, der richtigen Seite. Die sind innen auch nicht gröszer als unsere Kleinbusse, hier passen aber 14 Passagiere rein statt der 8 bei uns. Einige Fahrer drücken ihren Gram über die kürzlich ergangene Reform dadurch aus, dass an der Seite auf dem neuen gelben Pflichtstreifen die Aufschrift prangt: Only 14 Passengers. Laut Dennis sollen es vorher regelmäszig 18 gewesen sein und der Conductor hängt dann aus der offenen Schiebetür raus. Das aber ist vorbei und nun sind sogar Sicherheitsgurte vorgeschrieben, was eine ganze Anzahl von Matatus stillgelegt hat. Anschnallen hat oft nur einen symbolischen Wert, da man bei einem Aufprall vermutlich mit dem schon losen Sitz durch den Bus fliegt.



Matatus binden die Vororte an die Stadt und fahren sogar in die Städte der "Umgebung". Zum Beispiel auch nach Meru, wo ich noch hinkommen werde. Das sind rund 170 Kilometer und eine Fahrt kostet 4000 KSHS (knapp5 Euro). Für die Fahrt in die Stadt zu normalen Zeiten zahlt man 20 Shillings, zur Stoszzeit sind es 30, wenn es regnet wird es mehr. Thika-Road ist billig, Ngong-Road kostet 40 Shillings.
Ständige Polizeikontrollen versuchen, zum Leidwesen der Fahrer und zur Freude der Fahrgäste, das Matatu-Wesen unter Kontrolle zu bringen. Die Wagen werden nur bei der ersten Inbetriebnahme technisch untersucht und bleiben später öfter liegen. Im Fernsehen wurde das Ergebnis einer Razzia gezeigt: ein fetter Stapel einkassierter Führerscheine und, Linzenzen, alles gefälscht.





Jetzt ist Stadt anders, denn wir landen nicht auf der "Jomo Kenyatta Avenue" sondern ein wenig abseits und das genügt. Dennis ermahnt mich noch, nur vor privaten PKWs die Strasze zu überqueren. Mengen von Autos und Unmengen von Fuszgängern werden durch die Straszen gequetscht. Der Traffic-Jam ist hier permanent. Das ist für den Fuszgänger von Vorteil, denn so kommt man auf die andere Straszenseite.
Soviele Menschen. Alle schwarz. Hierher kommen die "Mzungu" nicht. Die treiben sich nur auf den Hauptstraszen rum. Zwischen dem Hilton, dem Nationalarchiv und dem Parlament trifft man vereinzelt Touristen. Alle sehr weiss.
Wir machen window-shopping. Hier stehen oft Preise im Schaufenster und Anlass zum Staunen. Über die Preise und das Sortiment.



Fachgeschäfte gibt es wenig, eher sind es Vollsortimente mit Schwerpunkt. Wo es Kleidung gibt, sind auch Schuhe und Koffer im Angebot. Es ist ganz anders als in einem modernen europäischen Laden, wo ein einzelnes paar Schuhe oder ein Hut im Schaufenster den Eindruck erweckt, als sei der Laden noch nicht ganz fertig (oder schon ganz fertig). Hier soll die Fülle locken und alles ist randvoll gepackt. Vollgepackt sind die Schaufenster und die Straszen mit Shops und mit Musik. Jeder dritte bietet Mobiles an, die in Kenya lieber benutzt werden als das Festnetz, denn die Funknetzbetreiber rechnen korrekt ab.
Auf der Strasze vor den Geschäften sind kleine Stände, wo es Uhren, Süssigkeiten, Batterien und einzelne Zigaretten gibt. Dazwischen durchzuhuschen erfordert Konzentration, denn schnell musste ich lernen, ein Auge immer auf den Boden zu richten, weil da Überraschungen lauern: Löcher, Pfützen, Steine, Schlamm.
Wir brauchen eine Pause und versorgen uns mit Getränken. Fanta Blackcurrant gibt es hier, erinnert mich stark an IRN-Brew. Wir sitzen im Laden auf leeren Kisten und schauen dem bunten Treiben zu.
Das Angebot ist grosz und günstig, kann mich aber nicht verlocken. Echte Schnäppchen gibt es hier: Lord of the Rings auf vier DVDs für nur 250 Shillings. Teil drei ist aber noch nicht fertig. Nike Sportschuhe zu Spottpreisen doch so ganz original sehen die nicht aus. Es gibt keine Kappe, kein T-Shirt ohne irgendeinen Aufdruck, denn Alles soll bunt sein.

Manche Shops sind so grosz wie ein Lieferwagen und der Verkäufer sitzt mitten im Angebot auf halber Höhe. Andere haben die Grösze einer Doppelgarage, wir besuchen einen, der doppelt so grosz ist. Ein paar Hosen habe ich in der Hand, finde aber nicht das rechte. Beim Hinausgehen ruft man uns dann aber einen sensationell günstigen Preis nach: "...this is my last offer!". Dennis hat noch nie was zum angebotenen Preis gekauft. Ich bin nicht sicher, ob ich das für mich auch so handhaben soll.
Überfordert vom Rummel, von lauter Musik, Benzinluft und Fülle laufe ich neben und hinter Dennis her. Langsamer gehen oder gar stehenbleiben zieht Händler magnetisch an. Werde ich als allein angesehen, gehen die Preise nach oben. Dann kommt Dennis und grinst den Preis in den Keller.




Die Rennerei macht müde. Wir kommen zur Matatu-Haltestelle und schieben uns an der Warteschlange vorbei. Doch die macht eine Biegung und noch eine und noch eine. Das können gut vierhundert Meter sein. Mist, wir sind zu spät. Nach Dennis Schätzungen könnte das so um drei Stunden gehen bis wir im Bus sitzen. Nebenan stehen Taxis und wir fragen nach dem Preis. Vierhundert. Aber das Taxi sieht wirklich nicht vertrauenserweckend aus. Wir schauen uns die Fortschritte in der Schlange an und entscheiden uns doch fürs Taxi. Das kostet jetzt 500 aber das Auto sieht so aus als könnte bis zum Ziel durchhalten.
Der Tag neigt sich. Um sechs verändert sich das Licht, halb sieben ist Dämmerung, sieben ist Nacht. Nacht ohne Lichtverschmutzung durch Stadtbeleuchtung. Dann sollte man zu Hause sein denn es wird gefährlich draussen. Nicht nur Dennis findet es mutig, wenn er mit Freunden erst um neun nach Hause kommt. Disco in der Stadt geht bis zum Morgen, wenn es wieder hell wird. Nachts gehört die Stadt den Gangstern. Und das sind keine angstbesessenen Übertreibungen. Während meines Besuchs hat ein Freund von Dennis bei einem Messerüberfall an der Bushalte um Zehn sein Mobile eingebüszt.
Das belastet mich: um halb sieben zuhause sein. Faktische Ausgangssperre. Kein Kino, keine Kneipe, kein Rumtreiben in der Stadt. Im Haus gibt es Essen und Fernsehen. Draussen ist die Nacht, mild und verlockend. Ich hocke auf der Terasse und rauche. Dann lade ich die Bilder des Tages auf den Rechner, lese.

was ich heute gesehen habe:
ein Gewerbegebiet
Massai-Market
Straszenkinder

Aber ich bin ja nicht nur als Tourist hier. Wenn Dennis mit seiner Ausbildung fertig ist, wollen wir ihm zu einem schnellen Start mit dem eigenen Geschäft verhelfen. Ein paar Maschinen haben wir schon gesammelt. Grundstück und Gebäude müssen noch angeschafft werden. Wir besichtigen heute. Dazu geht es erst einmal raus aus der Stadt, wo die Grundstücke teuer sind, die Mombasa-Road runter, Richtung Flughafen.


Die Stadtlandschaft verändert sich. Auf einem groszen Platz stehen LKWs, die hier auf Aufträge warten. Dahinter beginnt die Industriezone. Sogar Straszennamen stehen auf Straszenschildern. Das gibt es in der Stadt nicht, weil die geklaut werden und zu Blechprodukten verarbeitet werden. Hier wird nicht wie in Europa mit Architektur geprotzt, hier wird geklotzt. Die typischen grauen Vulkansteine sind der Baustoff der Stunde. Alles sieht etwas gebraucht aus, die Obergeschosse sind oft nicht realisiert, nur Betonpfeiler ragen raus und nicht immer ist klar, geht das Gebäude nach oben oder kommt es grade herunter.
Mit der zunehmender Entfernung von der Stadt sinken die Preise und wir fahren weiter raus. Hier sind die Plots richtig grosz und es gibt jede Menge Platz. Auch internationale Firmen haben sich hier niedergelassen. Neben der "Metro" halten wir an, sehen uns um. Die Infrastruktur ist hier am besten. Es gibt Strom, Wasser und Abwasser und auch Telefon soll kein Problem sein. Stromausfälle soll es hier nicht geben, denn da sind grosze Fabriken, auch chemische, die bei Stromausfall dynamisch reagieren könnten.
Wie man an ein Grundstück kommt? Ich erfahre: zuerst geht man zum Nachbarn oder ruft den Makler an, der seine Dienste auf einem Schild anbietet. Dann gibt es Vorverhandlungen. Bei Einigkeit informiert man sich beim City-Council, überprüft dort, welche Bebauung erlaubt ist und ganz wichtig: ob man auch mit dem tatsächlichen Eigentümer verhandelt hat. Verkauft wird nicht nach Quadratmeterpreisen sondern in Stücken.

Etwas verloren komme ich mir schon vor, auf der grünen Wiese, weit ab von der Stadt. Aber das ist schon okay sagt man mir und die Verkehrsanbindung zwischen City und Airport neben dem Mombasa-Highway ist wirklich gut. Auch die Distanz zur wilden Hektik der Stadt ist angenehm.
Schon sitzen wir wieder im Auto und es geht in die Stadt zurück. Wie an jedem Dienstag ist dort Massai-Market und das soll ich erleben.
Über Schlaglöcher könnte ich noch lange resumieren, doch aus dem fahrenden Auto tut es meine kleine Kamera nicht so gut. Dies hier ist ein ausgewachsenes Exemplar. Unbedarfte sollten nicht eine kleine Pfütze vermuten, denn die sind wirklich tief und man sollte besser schwimmen können.




Am gröszten Roundabout der Stadt ist der Massai-Market. Zwei Hügel sind mit sandgefüllten Plastiksäcken terrassiert. Und Dienstags sind die rammelvoll.
Grosze Teile von Kenya sind Massai-Land. Auch Nairobi ist eine Massai-Siedlung gewesen. 43 Sprachen werden in Kenya gesprochen, das sind 43 Stämme, unter denen die Massai eine Ausnahme bilden. Sie halten sich ein wenig aus dem Geschehen heraus, leben teilweise heute noch auf traditionelle Art.


Rogers lässt uns aussteigen und sofort sind wir umringt von Händlern. Gleich ein Dutzend überbietet sich in Anpreisungen und Versprechungen. Wir werden sanft gedrängt, am Hemd gezupft und mit mildem Druck in den Markt geschoben. Dennis organisiert das. Er hat sich den eindrucksvollsten, massigsten ausgeguckt und ihm in Aussicht gestellt, dass wir später zu seinem Stand kommen wollen. So wird dann den Rest verscheucht und für uns wortreich und mit körperlichem Einsatz ein Weg gebahnt. Verzweifelt versuche ich, meine Kamera in Anschlag zu bringen, weil das Gedränge wirklich nicht vorstellbar ist. Alle Bilder sind leider verwackelt und meine einzige Beute wird durch eine vorbeischiebende Schöne stark gestört.



Irgendwann müssen wir aber "unseren" Händler besuchen. Der hat die originalen Massai-Speere, die zum Transport im Flieger ganz praktisch in drei Teile zerlegt werden können. Taschen aus Büffelleder werden für den Transport von Fleisch verwendet, Kalebassen für den Transport von Wasser. Dann werde ich in die Spezialitäten-Ecke geführt. Originale Masken, mehrere hundert Jahre alt, traditionell bemalt. Alles echt und nur für wirkliche Kenner wie mich reserviert. Ganz sicher echt sind die vielen Schmuckstücke, Ketten, Armringe, alles aus Halb-Edelsteinen, wie ich sie schon klein aber massenhaft in einer Ladung Flussand neben metallischen Partikeln (vermutlich Zinn) gesehen habe.
Naturschätze will ich mir ebenso nicht aneignen wie Kulturgut und so winden wir uns aus den Fängen unseres Händlers indem wir auf einen erneuten Besuch am nächsten Dienstag Hoffnung machen.

So wie wir beim Ankommen von Händlern empfangen wurden, so werden wir beim Verlassen von Straszenkindern erwartet. Natürlich werde ich nicht nur hier angegangen. Eine Menge Zigaretten habe ich schon in der Stadt verteilt und ganz manchmal gebe ich etwas Geld. Hier bin ich jedoch überfordert. Ich entscheide mich, einem Mädchen mit Kind auf dem Arm etwas zuzustecken. Die ist vielleicht zehn? Dennis klärt mich auf. Die ist bestimmt schon vierzehn und das Kind ist wohl wirklich ihres.
Gemeinsam mit den NGOs ist es der Regierung gelungen, das Problem mit den Straszenkindern in Nairobi einzudämmen. Und blosz keine Ressentiments sagt man mir, das sind am allerwenigsten arme, ausgesetzte Kinder. Viele sind zuhause abgehauen, auch aus guten Elternhäusern, flüchten vom Land oder aus der Schule, wollen einfach auf der Strasze leben, was unter den gegebenen klimatischen Verhältnissen relativ einfach ist. In der letzten Zeit sind sie eingefangen worden und werden in Camps sozial nachgeschult und unterrichtet. Viele NGOs gibt es und alle gemeinsam kämpfen sie gegen frühe Schwangerschaften, Aids, Armut und Ahnungslosigkeit. Nancy arbeitet auch in einer solchen Organisation, freut sich über die Erfolge unter der neuen Regierung und weiss von einer Menge Sorgen zu berichten, die sich in erster Linie an der Verbreitung von Aids festmachen.

Endlich raus aus der Stadt.
Auf dem Land soll es anders sein. Man kann auch am Abend noch aus dem Haus. Und gleich um die Ecke steht der Mount Kenya, den ich mir mal für eine spätere Besteigung ansehen will. Es geht nach Meru, ein Bezirk in Kenya mit gleichnamiger Hauptstadt und etwa 170 Kilometer von Nairobi entfernt. Wir müssen nicht mit dem Matatu hin, was zwar nur knapp 5 Euro kostet aber wenig komfortabel ist.
Die Fahrzeit vertreibe ich mir mit photographieren und fragen. Fast alle Flüsse in Kenya habe diese rotbraune Farbe. Rührt von gelöstem Eisenoxid und ist überall in der Landschaft vorhanden. Auf dem Bild im Tana-River, der zu einem groszen Teil für den Strom in Nairobi sorgt.





Schon im Stadtgebiet von Nairobi gibt es eine trockene Seite. In dieser Richtung - nach Mombasa zu - wird das Land flach und hat einen milden Steppencharakter. Wir fahren aber an der fruchtbaren Seite raus, zunächst durch hügeliges Land mit Plantagen und Gewächshäuser. Del Monte ist ein groszer Abnehmer der Landfrüchte. Tomatensaft und Ananas werden hier eingedost.



So führt unser Weg über die Thika-Road konsequenterweise nach Thika-Town.
Hier bin ich überrascht, denn eine erwartete Ähnlichkeit mit dem, was wir unter dem Begriff der Stadt so in unseren europäischen Köpfen herumtragen ist nicht festzustellen. Nun gut, ein paar steinerne Häuser gibt es schon neben dem Bild aber meine Vorstellung von Stadt hat eine enorme Erweiterung erfahren.





Und ich entdecke mehr Bildungslücken. Hier wird Reis angebaut. Kaffee aus Kenya kenn ich schon seit vielen Jahren von der GEPA, die den löslichen "Africafe" in Deutschland vertreibt, denselben, der mir hier zum heissen Wasser angeboten wird. Tee wusste ich schon ohne mich konkret daran erinnern zu können. Aber Reis?
Später erfahre ich, dass man in Kenya davon überzeugt ist, dass zumindest Tee und Kaffee nach Südamerika exportiert werden, dort für eine Verbesserung der einheimischen Produkte verwendet werden, um dann auf dem internationalen Markt angeboten zu werden
Der Reis wird hier auf weissen Plastikfolien getrocknet und dann gleich nebenan lose oder in Säcken verkauft.



Ohne Frage, afrikanische Straszen und afrikanische Transportmittel bleiben für mich faszinierend. Wer einen Fernseher besitzt, mag solche Bilder gesehen haben. Die exotische Erbaulichkeit fehlt vor Ort. Die Menschen arbeiten, ohne den europäischen Stress, in einen Tag hinein, der wie der gestrige vom Morgen bis zum Abend dauert. Jeder gleich, ohne wirkliches Gestern und vielleicht auch ohne wirkliche Zukunft, einfach weiterleben. Verliert den exotischen Glanz aus der Nähe beträchtlich.








Es ist Dienstag, am Nachmittag, eine ungewöhnliche Zeit für eine Demonstration. Wir stehen am Straszenrand in Embu, der Stadt, die für die vielen Bumps (Straszenwellen zur Verkehrsberuhigung) bekannt ist und lassen den Umzug vorbei.
Für mich als Besucher ist es einfach ein kleines biszchen abenteuerlich mit dem Matatu zu fahren. In Kenya ist das Matatu ein Politikum und ein Maszstab, an dem Innenpolitik gemessen wird.
Nicht nur die Gesichter der Demonstranten sind ernst, auch die Anliegen: Blutspenden werden angemahnt, Verkehrssicherheit eingefordert, Sicherheitsgurte einschlieszlich Benutzung. Das ist hier elementar und keine Luxusdemo, man will einfach nicht mehr Freunde und Kinder auf der Strasze sterben sehen.




Rund einhundertsiebzig Kilometer sind wird gefahren. Raus aus der Stadt und über Land. Es gab nicht einen Augenblick, an dem Niemand auf der Strasze zu sehen war. Die Gegend ist bewohnt. Überall sind Menschen unterwegs, gehen von Hier nach Da, arbeiten auf den Feldern, bieten an kleinen Ständen, manchmal nur in Badetuch-Grösze ihre Früchte an. Hier gibt es keine Einsamkeit, keinen ruhigen, menschenleeren Platz. Ob da ein Dorf ist, weiss man nicht. Wir nennen es einen Ort, wenn es eine Kirche und ein Paar Geschäfte gibt, etwas, was sich aus der Landschaft als Ereignis heraushebt. Das tun hier nur die "Städte", die für mich wie Dörfer sind. Alles andere ist in der Landschaft verteilt und hebt sich sowenig ab, wie ein Tag vom anderen.


Fast sind wir da. Nur noch fünf Minuten, doch es gibt ein Problem. Ein alter Baumriese fand es passend, sich eines Teils seiner Last zu entledigen. Ausgerechnet dort, wo Autos fahren wollen. Was bei uns die freiwillige Feuerwehr eben erledigt, das ist hier ein gröszeres soziales Unterfangen. Mit der Panga - einer Art Machete, die hier jeder braucht und mit sich trägt - lassen sich schon mal die kleineren Äste entfernen. Die Arbeit mit der Motorsäge geht bis zum nächsten Tag.


Nun bin ich auf dem Land.
Hier gibt es keine Probleme mit security.
Empfangen werde ich mit der gleichen Herzlichkeit, die mir seit meiner Ankunft entgegengebracht wird. Auf dem Dorf ist es üblich, die Nachbarn zu besuchen, Gäste dort vorzustellen. Das geschieht mir jetzt dauernd.
So komme ich herum und werde auch eingeladen, meine Photos zu machen, damit meine Freunde und meine Familie wissen, wie es in Kenya aussieht. Weisse hat man schon hier gesehen, für die Kinder bleibe ich aber eine kleine Sensation und allenthalben höre ich "Mzungu". Die Hütte im Bildhintergrund ist eine Küche. Die sehen hier so aus, und es hat nichts mit Folklore zu tun.



Obwohl es hier keine Sicherheitsprobleme gibt ist der Tag um 19:00 Uhr vorbei. Es ist dunkel. Durch die ganze Nacht könnte man herumlaufen. Doch wohin? Vor dem Hof ist die Strasze. Nach rechts etwa 16 Kilometer zum nächsten "Dorf". Nach links sind es etwa vier. Aber dunkel ist es auf beiden Seiten. Strom gibt es nur bis Kibugua und das ist noch 12 Kilometer weit. Die nächste Kneipe ist in Chuka-Town, die werde ich später kennenlernen.
Doch der Abend ist ein Gästeabend. Es wird gegessen, es kommen Gäste und mal wieder muss ich erklären, wie ich Kenya finde und wie anders es bei uns ist. Dieser Abend vergeht rasch und nur in der Nacht werde ich wach, weil es regnet. Auf dem Wellblech über mir hört sich das an als ob es Kieselsteine schüttet.





Auf dem Land ist es gemütlich, ein wenig wie zu Hause und doch ganz anders. Alles strotzt voller Vitalität. Zwei Wachstumsperioden hat das Jahr, eine beginnt jetzt, im April und im Oktober geht es dann wieder los. Es gibt Bananen, die wie Unkraut wachsen, Papaja stehen überall. Einige Früchte kenne ich nicht. Einziges Problem sind Affen, die ähnliche Ernährungsgewohnheiten wie Menschen haben. Der Boden ist rot, fruchtbar und völlig frei von Steinen. Ein paar Bäume - zuerst den tree of rememberance - habe ich gepflanzt. Geht einfach mit einem Stöckchen: Loch machen, reinstecken, zuschieben, andrücken, fertig.
Geerntet werden die Baumfrüchte kontinuierlich. Dazu gibt es noch Erbsen, Mais, Bohnen, verschiedene Wurzeln, Kartoffeln. Sugar-Cane wächst am Rand und wird zum Vergnügen gegessen.



Die Anwesen sind knapp einen Hektar grosz und geben (beispielsweise) einer sechsköpfigen Familie Unterhalt. Reis, Salz, Zucker, Fett, Seife und Tee wird zugekauft, was sonst gebraucht wird ist einfach im Garten. Hühner haben eigentlich alle und wer kann, hält sich eine Kuh, deren fünf Liter Milch im Tee verbraucht werden. Die Ernährung ist bodenständig, was im Garten wächst, kommt in den Topf und kann mit dem Löffel gegessen werden. Niemand muss hungern.
Die Küche wird von den Frauen am Hof betrieben und das den ganzen Tag. Ständig werden mir Teller in die Hand gedrückt und auch allen Gästen, von denen es reichlich gibt und die automatisch zum Essen eingeladen sind. Daneben werden Tee gekocht und Füchte angeboten. Viel Arbeit, wenn alles auf einer Feuerstelle am Boden stattfindet. Trinkwasser im engeren Sinne gibt es nicht nur in der Stadt nicht. Hier draussen gibt es an zwei Tagen der Woche Wasser aus einer Leitung an der Strasze, was in Kanistern aufbewahrt wird und selbstverständlich abgekocht werden muss. (Trotz Umsicht muss ich wohl böses Wasser erwischt haben und so blieb eine Menge Klopapier und vier Kilo Lebendgewicht auf der Strecke.)

Ich lerne die Gegend kennen, wandere mit Mucioka und einem Nachbarn quer über die Strasze den Hügel ins Tal runter. Das war während der englischen Besatzung streng verboten. Jetzt kann auch hier das Land genutzt werden. Affen verschwinden unter Protest. Unreife Bananen nicht an die Kleidung kommen lassen, gibt Flecken, die nie wieder rausgehen.
Es hat geregnet und der Fluss ist voll und rostbraun. Schmetterlinge von beachtlicher Grösze treiben sich am Ufer herum, gröszere Eidechsen liegen in der Sonne. Wir auch. Weil wir schon mal da sind, nehmen wir auch noch gleich einen Kanister Wasser mit - wird ja abgekocht.
Es ist tropisch und exotisch und faul in der Sonne. Ich habe Urlaub.




Und so klingt der Tag aus, ich habe Ausgang: wir sitzen im Auto, es geht nach Chuka-Town. Wir besuchen den Doktor. Das war schon vorher abgemacht, denn der weiss Bescheid, wie man auf den Mount Kenya kommt, dorthin, wo die Wolken ganz dunkel bis ganz unten hängen. Ich soll Daktari Nicholas zu ihm sagen. Wird gemacht. Netter groszer Mann mit einem Händedruck, der einem Tränen in die Augen treibt. Sehr gesund! Will mich wiedersehen und lädt mich zu sich nach Hause ein. Wird auch gemacht - später. Wir werden weitergeschickt, zum Transit-Hotel. Eine Piste lang, die grade noch so mit dem Stadtwagen zu schaffen ist. Hier treffen wir Menschen, die nach Bergen aussehen. Es gibt Fanta-Blackcurrant. Ich will nicht auf den Gipfel, will nicht übernachten, brauche keine Träger. Nur einen Fourwheeldrive bis zum Basislager. Sind 26 Kilometer. Soll mit Führer für einen Tag 188 US-Dollar kosten. Ich will drüber nachdenken. Das geht schnell auf der Rückfahrt. Kein Mount Kenya, kein Nepp. Ich bin geknickt weil mein einzig privates Ziel dieser Reise sich grade in Luft auflöst.
Das wird wohl bemerkt und wir beschlieszen den Tag im Farmers-Hotel in der Stadt. Das Hotel ist sauber und billig. Da ist Billard, Fernseher und Stimmung. Es gibt Fanta-Blackcurrant. Die Toiletten heissen hier Cloakroom und das ist richtig so.


Wieder sind wir in Chuka-Town. So ist es bei Tage. Echt und ohne Folklore.
Wir sind bei der Arbeit, denn wir wollen einen Wasserbehälter aufstellen. Für die Fittings kommen wir nach Chuka-Town. Ein Auslaufhahn wird gebraucht. Im ersten Laden gibt es keine passenden, im nächsten aber. Dazu ein Stück Rohr, dreiviertel Zoll. Das dauert, doch wir haben ja Zeit.


Einen Stop legen wir in Kibugua ein, dem nächsten Dorf. Hier gibt es Rohre. Das sind dünne Dinger, die üblichen sechs Meter lang, mit Flanschen dran. Die werden nicht verklebt und ich wundere mich, wie das halten soll.
Es dauert und so bleibt mir das touristische Vergnügen der Beobachtung. Beobachten kann ich den Dorf-Schmied bei der Herstellung einer Stahltüre. Mit Elektro-Schweissgerät. Das ist nicht vor der Werkstatt, das ist die Werkstatt.
Neben mir wird Zement gekauft, 50 Kilo im Sack. Dann wird eine Spedition beauftragt. Der Mann kommt mit dem Fahrrad, kriegt den Sack auf den Gepäckträger und die Rohre drangebunden. Fährt los wie eine Eidechse auf Rädern.
Es dauert. Mir bleibt Zeit für ein weiteres Bild: Der Dorfmetzger. Aber alles wird ja noch gekocht oder gebraten.



Seit Tagen ist mir heiss unter afrikanischer Sonne. Vielleicht sollte ich meinen Friseurtermin hier nachholen? Ich frage Mucioka nach einer Empfehlung. Der geht voran. Wir kommen in einen Laden in Garagengrösze. Die Lautsprecher heissen zu recht so und sind gross wie Telefonzellen. Die Wände wippen im Takt. Die Musik hört sich an, als würde eine Kiste Handys ständig klingeln und auf der Ladefläche eines Lasters von einem Besoffenen durch eine kurvenreiche Landschaft gefahren wird. Mucioka spricht wenige Worte. Stille entsteht, ich bekomme einen Sitzplatz. Mucioka dirigiert das Geschehen von der Trainerbank hinten im Laden. Er genieszt groszen Respekt, der auf mich übertragen wird.
Alles geht glimpflich aus. Die waren froh als wir weg waren.





Wasserfass aufstellen geht so: ein Platz wird ausgesucht. Der Behälter wird grob abgemessen, der Umriss auf den Boden übertragen. Dann kommt die Panga zum Einsatz. Es werden Löcher in den Boden gegraben. Da rein kommen dann Holzpfosten als Ständer. Oben drauf werden Bohlen verlegt, die das Fass tragen sollen.
Dennis und ich stehen etwas abseits und machen uns unsere europäischen Gedanken. Die Wandung erscheint uns etwas dünn und wir fragen uns, ob dass den Behälter unten nicht total verbeult? Soll denn kein Überlauf dran? Und so weiter.
Der Enthusiasmus ist grosz und hat auch die Nachbarn ergriffen, die das Vorhaben tatkräftig unterstützen. Bald steht alles und nun kann der Samstag kommen und das Wasser.



Sonntag ist es geworden und die Installation noch nicht getestet, denn Samstag kam kein Wasser. Jetzt ist es soweit und die Rohre werden an den Wasseranschluss angesetzt und das Wasser flieszt. Aber ins Fass will es nicht. Immer wenn das Rohr sich dem oberen Einlass nähert, flieszt es schwächer und versiegt dann ganz. Zuwenig Druck. Der Einlass liegt zu hoch. Es wird getrickst und probiert, das Rohr besser gestützt - keine Wirkung.
Die entstandene Denkpause benutzen Dennis und ich für Experimente. Mit ungläubigem Erstaunen wird uns nicht recht abgenommen, dass wir das Fass von unten durch den Hahn füllen wollen. Und wir können auch prophezeien, wie hoch das Wasser steigen wird. Mit Streifen von Fahrradschlauch werden die fehlenden Fittings ersetzt und die Konstruktion funktioniert.




Jetzt ist Kirche. Für mich das zweite Mal, doch auf dem Dorf ganz anders. Hier habe ich wenig Glück, denn der Gottesdienst ist in Kimeru, Landessprache. Ich verstehe nix. Doch, etwas: "...auch der Gast aus Deutschland wird gegrüsst, gesegnet und wird sich später vorstellen..." Das bin ich.
Die Frauen sitzen links, die Männer rechts, wenn auch nicht streng getrennt. Wieder eine presbyterianische Kirche doch diesmal ohne dramatische Einbeziehung der Gemeinde. Auch mit Gesang aber ohne schrille Töne und alle machen drei Stunden mit. Auch ich. Ich bin Opportunist. Oder nur streng erzogen?
Jetzt muss ich nach vorne mit Rogers, der mein Englisch in Kimeru übersetzt. Ich fühle mich beinahe wie zuhause, danke für die freundliche Aufnahme, bringe Anständigkeiten hervor und: God bless You all.
Der Dank ist Applaus und eine Ansprache mit vielen Segenswünschen für die Familie, die Freunde, die Heimat und hiermit sind sie überbracht: God bless You all!


Es hatte geregnet und bis auf die Hauptstrasze - die aus Maram, einem roten Kies - gebaut ist, verwandeln sich alle Straszen und Wege in Schlammbahnen. Der Schlamm ist really tough und lässt sich in faulster Weise überall hin tragen. Vor die Kirche, in die Kirche und auch sonst überall hin. Man kann barfusz gehen, aussehen wie eine Sau oder man benutzt Nkinyira als ultimative Waffe. Die sind aus LKW-Reifen gemacht, halten ein Leben lang, sind beständig gegen Umwelteinflüsse, Körperschweiss und Schlamm, schwer zu tragen aber leicht zu reinigen.
Wasserfass, die letzte: als wir zurückkommen ist das Fass wieder geleert. Die Unterseite hatte sich stark durchgebogen und auch dem Ständerwerk wurde das Misstrauen ausgesprochen.



Gleich neben der Kirche ist die höhere Schule für Mädchen in Ndagoni. Dort bin ich zur Besichtigung eingeladen, eine Lehrerin, der Chief von Kinoru und ein Honorabler begleiten mich.
Zur groszen Freude der Bevölkerung hat die neue Regierung unter Rais Kibaki Schulfreiheit eingerichtet. Nun dürfen alle kostenlos die Schule besuchen, was als groszer Fortschritt angesehen wird. Nicht automatisch ist das mit der Bereitstellung von Mitteln verbunden. Jede Schule, ob privat oder staatlich, bemüht sich selbst, den neuen Umständen Rechnung zu tragen. Es wird gebaut, um dem Schülerandrang standzuhalten und nebenbei muss nach Geld gesucht werden.





Die Inneneinrichtung ist dürftig, es mangelt an allem. Tische, Pulte und Stühle sind vorhanden, der Rest lebt aus der Improvisation. Schulbücher gibt es nicht (ist ja vielleicht kein Mangel) aber die Lehrerarbeitszimmer sind sehr dürftig. Unterrichtsvorbereitung ist ein Problem. Ein Stück weiter am Hang entsteht ein neuer Schlafsaal für 200 Mädchen.
Die sanitären Bedingungen sind die ortsüblichen aber es gibt immer Wasser. Eine ortsübliche "Dusche" ist ein Wellblechquadrat mit betoniertem Boden und seitlichem Auslauf. Der Gast bekommt eine Waschschüssel mit Wasser hineingestellt. Da turnt man drumrum, wirft und schöpft das Wasser irgendwie über sich, denkt an zuhause und daran, wie praktisch Schwerkraft sein kann wenn man sie auf seiner Seite hat.



Ortsübliche Bedingungen sind nicht bedauernswert - eben ortsüblich. Ein wirkliches Problem stellt der naturwissenschaftliche Unterricht dar. Das Bild zeigt die gesamte Einrichtung des Schul-Labors und ich verspreche, das ist alles!
Das allerdings ist sehr bedauernswert. Für die Abiturvorbereitungen werden die Schüler in kleinen Gruppen zu einer befreundeten Schule nach Nairobi geschickt. Dort sollen sie einmal in ein Mikroskop schauen und auch viele der anderen Dinge sehen, die in einem Schullabor für Physik und Chemie vorhanden sein sollten, die sie bis dahin aber nur von Bildern kennen.
So kann man nicht arbeiten.




Und weil man so nicht arbeiten kann, habe ich fest versprochen, für Hilfe zu sorgen. Damit ist selbstverständlich auch meine verehrte Leserschaft aufgerufen. Ja, persönlich. Der Fercher von Steinwand Verein wird diese Angelegenheit koordinieren und abwickeln. Ich bitte alle Leser - das sind nicht wenige - sich daran mit Sachspenden oder Geld zu beteiligen. Näheres findet sich hier.


Die Tage auf dem Lande sind gezählt. Nicht Alles ist erzählt. So fehlt das Treffen mit Daktari Nicholas, eine weitere Schulbesichtigung. Auch den Abgeordneten des Districts habe ich noch getroffen, war zweimal in Chuka-Town, die Adresse eines Führers für den Mount Kenya aufgetrieben. Eine Menge Bäume habe ich mit Mucioka gepflanzt, die Nkinyira sind ein Geschenk geworden und für die Gartenarbeit daheim habe ich eine Panga gekauft.
Alle machen sich reisefertig. Üblich ist, Verwandten und Freunden einige Taschen, Säcke und Kartons mitzubringen. Drin sind die guten Produkte vom Land, die in Nairobi fast zehnmal teurer sind.
Die Hühner treten ihre letzte Reise an und vor der Abfahrt wird für eine sichere Fahrt gebetet.



Meine Begeisterung für den afrikanischen Himmel ist ungebrochen. Wie auch, wenn solche dramatischen Erscheinungen am Himmel dargeboten werden. Mit einer Spur Wehmut sitze ich im Auto, schau auf die nächsten Tage, an denen es wieder abendlichen Hausarrest geben wird.


Was sonst noch los war? Jede Menge.
Natürlich gibt es Waldorf auch in Kenya. Diesmal wirklich eine Schule. Ein gutes Stück die Ngong-Road runter, dann am Schild rechts.


In bester Gegend, ruhig und sicher. Das ist eine der beiden Waldorf-Schulen in Nairobi. Zur anderen haben wir es nicht geschafft weil es mit dem Matatu zu umständlich gewesen wäre und einen halben Tag gebraucht hätte.
Eine Spielgruppe gibt es, Kindergarten und Grundschule (primary school). Sie haben einen groszen Spielplatz, ein richtigesWald-Dorf.






Unerzählt bleibt mein Besuch im Parliament auf Einladung von Honorable Petkay S. Meriti.
Unerwähnt bleiben soll nicht die Show in den Bomas of Kenya.
Ungewisses könnte ich über eine Organisation berichten, die Sommerworkcamps in Kenya anbietet.

Dann tritt Abschiedsstimmung ein, Vorbereitungen für die Heimreise werden getroffen und ich bin noch einmal mit Dennis in der Stadt. Durch das City-Center wälzt sich ein Demonstationszug. Gefordert wird gerichtliches Vorgehen gegen den Sohn und den Ex-Präsidenten Moi. Die Korruption des vergangenen Regimes soll abgerechnet werden.
Dieses Bild soll den Bericht schlieszen, weil es symbolisch ist für die Stimmung im Land. Überall ist Hoffnung auf Veränderung, Politik interessiert die Menschen, die Sehnsucht nach mehr Recht und mehr Sicherheit haben. Es soll sich etwas ändern, und ich bin sicher, es wird sich ändern. Unsere Hilfe wird dazu nötig sein.

Asanti