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Forinthenkacker



Die Maschine steht, Monteure fliegen von irgendwo in Europa nach Budapest. Drei kleine Ersatzteile sollen auch dorthin.
"Die Kiste steht im Auto, hier ist die Beschreibung"
"Okay, wo sind die Zollpapiere?"
"--"
"Das ist nur eine Profomarechnung, ich brauche Zollpapiere!"
"Der Mann hat gesagt, das genügt, weil der Wert unter 45 Euro ist."

Das Wetter macht mir Sorgen und aus dem Radio kommt die Bestätigung: starke Schneefälle an der Donau, im Bayerischen Wald, Kettenpflicht hier und da und dazwischen liegengebliebene LKW's. Aber es geht noch bis hinter München ganz gut. Dann wirklich Schnee und es wird zäh an jedem Berg. Ich nehm die linke Spur und bleibe da bis kurz vor Linz, wo der Schnee wieder in Regen übergeht. Es ist halb Neun und ich komme zur Grenze.

EU-Aussengrenze, das ist auch ein Stau-Streifen für Lastwagen, fünf Kilometer lang und voll in Betrieb und hier gibt es ihn noch: Beton in seinen sozialistischen Erscheinungen, der das quirlige, unordentlich Lebendige in klare Bahnen lenkt. Hier in eine Wartespur, die vor einer Schranke endet. Eine Kamera ist auch da (von früher? für später?). Ich habe Grund zum Lächeln und halte meinen Ausweis hin. Der wird abgenickt, doch der Zweite ist schon um den Wagen rumgewieselt: "Was ist in dem Paket?" "Ersatzteile im Wert unter 45 Euro." "Fahren Sie zweimal links." Ich zücke meine Proformarechnung. "Zweimal links!"
Ich fahre zweimal links und halte. Ein Anderer zeigt wortlos auf die Baracke. Drinnen sind Schalter, wo ich mit meinem Papier anstehe. "Andere Seite." Ich andere Seite. Schiebe das Papier durch einen schmalen Schlitz unter dem Schalterfenster. Es bummst zweimal und ich habe Stempel und Unterschrift.

Zurück zum Schalter draussen. Papier durch den Schlitz, Kopfschütteln. "Was ist nicht in Ordnung?" "Gehen Sie zu einer Spedition." "Wo ist eine Spedition?" Eine unbestimmte Geste. Ich frage eine andere herumirrende Person. Ist nur zweihundert Meter. Wie eine Bahnhofshalle. Die Leuchtreklamen im Stil der 60ger sind fast so grosz wie die Büros. Warten. Dann komm ich dran. Mein Papier wird studiert. Ich werde nach nebenan geschickt. Warten. Ich komme dran. Er kann auch nicht helfen. Die nächste. Mein Papier wird studiert. Es spricht: "Ich kenne diese Firma nicht". Schlieszlich habe ich alle durch und marschiere zurück, spreche einen Zöllner an. Der weist stumm auf einen Kollegen.



"In der Spedition hat man mir gesagt, man könne keine Papiere ausstellen." "Es gibt sechs." "Ja, mein Herr, ich habe sie alle besucht." "Die können!" Nun suche ich den Nettesten raus. Er studiert wieder mein Papier. Ich sage, man hat mir gesagt, Sie könnten! "Ich kann nicht, versuchen Sie es nebenan." "Ich war schon nebenan, daneben auch und daneben auch, ich war überall." "?!" "Gut, was können Sie mir raten?" "Wenn Sie nach nebenan gehen und eine Kaution hinterlegen, dann könnte es vielleicht gehen."
Nebenan warte ich wieder. Ich komme dran und werde missmutig angeglotzt weil ich schon wieder da bin. Mir entsteht die Frage, ob die ungarische Sprache Lücken hat? nicht für Dialoge geeignet ist? Ich biete eine Kaution an, denn dann soll es gehen. Geht nicht. Also wieder zur Grenze zurück, will dort wieder fragen. Wortlos zeigt man mir die Schalterhalle. Die ist leer und bleibt es. Ich warte draussen im Wind. Es kommt wieder einer. Ich berichte.
"Dann müssen Sie zu einer österreichischen Spedition gehen." "Wo?" "Da drüben." Unbestimmte Geste nach Nordwest. "Aber die haben jetzt zu."

Zehn Telefonate sind vergangen, anderthalb Stunden und das Paket wird immer noch von zwei Monteuren an der stillstehenden Maschine in Budapest erwartet. Die können jetzt ins Bett gehen und ich suche mir auch eins. Ich fahre nach Nickelsdorf und bin stinksauer weil der Express nicht funktioniert. Johannes weissagt mir schlechte Karten für die Nacht weil er kein Hotel in Nickelsdorf im Plan hat. Aber ich finde eine Pension, schmeiss die Dame des Hauses aus dem Bett und kriege Zimmer, Dusche und Bett.


Hier ist die Zeit nicht in den Sechzigern stehengeblieben, wir sind schon in den Siebzigern. Langsam werde ich wieder menschlich. Gedanken setzen ein. Jetzt könnte ich das Paket übergeben haben und auf dem Rückweg sein. Das Wetter soll morgen wieder schlechter werden und um acht sollte ich mit Jan in Schussenried drehen. Zu lesen habe ich auch nichts und spiele mit der Kamera herum. Morgen nach acht Uhr sollen neue Anweisungen über den Fortgang der Reise eintreffen. Mein Körper brummt wie ein Diesel.





Es gibt Pensionsfrühstück, naja, aber die Milch zum Kaffee ist heiss. Mein Mobile spuckt Nachrichten aus aber nichts Genaues. Zuerst will ich zu einer österreichischen Spedition. Sind zwar Österreicher, gehören aber zur EU und plötzlichen Sprachverlust muss ich dort auch nicht fürchten. Auf der Tankstelle (EU-Seite) frage ich nach, man schickt mich weiter und ich nehme diesmal die LKW-Spur, die mich vor eine Schranke bringt. Wortlos reicht man mir ein Formular und öffnet. Aha, da steht "T irgendwas" drauf und dieses Wort fiel gestern. Meine Stimmung steigt. Mein Zwergentransporter steht zwischen ein paarhundert groszen Brummis und hinten glänzt: "Spedicio". Aber alle sind ungarisch doch ich versuche es einfach nochmal. Auch hier sechs Speditionen, auch hier keine Antworten, keine Hinweise, keine Hilfe. Ich frage draussen die Fahrer, wie ich wieder vom Hof komme. An der Schranke muss ich halten und aufsperren lassen. Im Häuschen nachfragen. Die Schranke funktioniert nicht aber es gibt auf der anderen Seite noch eine. Die ist offen. Jetzt bin ich wieder in Österreich und fahre über die Raststätte zur Grenze, noch auf der Suche nach einer Spedition. Fruchtlos wieder und wieder komme ich zur Abfertigung. Lieber links raus und nochmal Fragen. Da erwische ich einen österreichischen Grenzbeamten, der mich wieder zur Raststätte schickt, andere Seite. Da parke ich und laufe über die Wiese zurück zum österreichischen Zoll. Österreichischer Zoll ist eine Vorstufe der Glückseligkeit. Hier gibt es auch eine EU-Spedition. Im Büro von Schenker sitze ich eine halbe Stunde und bewundere die Mengen von Papieren, die an mir vorbeigetragen werden. Sehr viel Papier. Der Doppeladler hat zwei lange Hälse. Zwar bin ich noch lange nicht an der Reihe doch Erbarmen kommt mir entgegen. Im Vorbeieilen wird mein Papier erkannt: "Da kann Ihnen hier niemand helfen, das muss auf der ungarischen Seite verzollt werden." Ganz langsam werde ich sauer. "Da war ich schon, die schicken mich hierher. "Was ich sage, das stimmt schon!" "Und was soll ich jetzt machen?" Schulterzucken. Jetzt bin ich sauer. Ich lasse mir einen verantwortlichen österreichischen Grenzbeamten zeigen. Ein wenig ungehalten aber freundlich erkläre ich die Lage, zeige meine Papiere. Die findet er ganz in Ordnung und weiss auch nicht mehr. Aber ich will es jetzt wissen. "Das ist so, ich kann Ihnen das auch nicht alles erklären aber wenn die nicht wollen, dann lassen die Sie einfach da drüben verrecken. (Ziemlich wörtlich) So ist das im Ostblock!"
Mir reichts. Ich schwing mich in mein Auto, wieder raus, wieder auf die andere Seite. Kurzer Blick auf die Situation, etwas Willen spielen lassen, volle Konzentration. Vorfahren, Lächeln, Weiterfahren.
Halb eins übergebe ich das Paket in Budapest, wende und bin um neun zuhause.

Was war das?
EU-Aussengrenze. Das ist nicht mal eben so, da braucht man ordentliche Papiere. Habe ich jahrelang mit der Schweiz gelernt und praktiziert. Die können auch sehr stur sein. Diese hier wollen aber im Mai in die EU. Na klar, Touristen sind willkommen. Sicher werden die umworben und umhegt. Aber die Grenzer sind nach dem Ende des Sozialismus nicht ausgetauscht worden. Die sind alle zwischen vierzig und sechzig, keine jungen Leute, kein Nachwuchs. Die sind noch ganz auf "Sozialismus" gedrillt, ein biszchen schikanieren, Macht demonstrieren, die Bürger als Eigentum des Staates ein bischen terrorisieren, nix wissen, alles dürfen.
Wir EU-Bürger sind ganz schön verwöhnt. Wir passieren Grenzen mit dem Flieger und dem Auto und bleiben dabei zuhause. Wir haben auch Schleierfahndung, Kameras und allgemeine Verkehrskontrolle. Aber wenigstens leben wir in einem neuen Jahrhundert.
Goodbye Stalin.