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Bestimmtheit versus Trennschärfe |
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Wann ist ein Polizist eigentlich ein Polizist? |
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Steigt er mit dienstlichem Auftrag aus dem Polizeiauto, hat er Uniform an und Kappe auf, die Pistole an der Seite und den Ausweis in der Tasche sind wir sicher, dass es sich um einen Polizisten handelt. Woran aber erkennen wir den Polizisten, wenn er nicht uniformiert ist? An seinem Ausweis? Macht der Ausweis den Polizisten, und ist der Polizist auch privat Polizist? Und wie verhält es sich bei dem Arzt, der sein Stetoskop ablegt, seine Praxis im Anzug verlässt und neben dem Polizisten in der Bäckerei um Rosinenschnecken ansteht?
In einer solchen Frage nach Haupt- und Nebensächlichkeit unterscheiden zu wollen, kann Probleme in der Definition hervorrufen. Den Menschen im Anzug als das Substanzielle zu beschreiben, leuchtet ein und das "Polizist-Sein" oder "Arzt-Sein" ist so betrachtet akzidentiell. Die Schwierigkeiten mit der Definition aber entstehen, will man "Polizist sein" als substanziell verstehen. Ob die Ausbildung, der Ausweis oder die Tätigkeit den Polizisten definiert, wird fragwürdig bleiben weil jeweilig gegenteilige Beispiele gefunden werden können, die vermeintliche Bedingungen der Definition ausser Kraft setzen oder ohne Ende ausdehnen.
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Resultat einer solchen Suche nach einer umfassenden und zutreffenden Definition eines Begriffs führt unweigerlich an den Rand dessen, was uns zunächst und spontan als zutreffend erscheint. Statten wir den Begriff des Waldes mit den Bedingungen des Unterholzes und mit biologischer Vielfalt aus, so wird ein Buchenwald mit altem Laub und ein paar Büschen Ylex der Definition nicht entsprechen. Wollen wir nun den Buchenwald und den künstlichen Fichtenwald in Bedingungen und Beschreibung von "Wald" einbinden, so erweitern wir schrittweise den Begriff des Waldes bis er möglicherweise nicht mehr vom Begriff einer Baumgruppe, eines Parks oder einer Heide zu unterscheiden ist. |
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Wie sich ein solches Bestreben nach scharfer Definition in der Praxis auswirkt, lässt sich bei Gesetzen und Vorschriften gut beobachten. Wird im Gesetzgebungsvorgang zunächst einmal der zentrale Umstand beschrieben, so erfordern die real auftretenden Abweichungen, Entwicklungen und Widersprüche die fortwährende Fortschreibung der Vorschriften, die alle Ausnahmen, Bedingungen und Abweichungen – die in der Tatsachenwelt entstanden sind – zu erfassen und zu beschreiben versuchen.
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Von Aristoteles bis Popper reichen die Beschwerden über die unfruchtbaren Versuche, Begriffe mit einer scharf abgrenzenden Definition fassen zu wollen. Das in der Gedankenlogik verankerte Bedürfnis, ein "Richtig" oder "Falsch" herbeiführen zu wollen, erweist sich auf dem Felde der Tatsachen als faktisch und methodisch unzureichend. Den untauglichen Versuchen, diesem Phänomen mit einer "mehrwertigen Logik" entgegentreten zu wollen, kann zwar Verständnis entgegengebracht werden, doch erweisen sie sich nicht als brauchbar. |
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Eine bildhafte Darstellung des Problems wird in der Glockenkurve einer Normalverteilung verständlich. Auch ohne vertiefte mathematische Vorstellungen lässt sich erahnen, wie die Ränder auf der X-Achse sich gegen Unendlich bewegen. So ergibt sich für den Versuch einer trennscharfen Definition die Notwendigkeit einer sich immer weiter ausweitenden Menge an Bedingungen, die sogar auch untereinander durch Ausschluss oder Kulmitation neue Unterkategorien von Bedingen erfordern kann.
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Wissenschaft bedarf einer Empirie, die sich widerspruchsfrei in die Logik einfügt, doch der Drang, Begriffe und Beschreibungen durch scharfe Trennung von der Wirklichkeit abzusondern und sie auf diese Weise zu Objekten der Denklogik werden zu lassen erweist sich als tragisch und kritikwürdig. So fühlte sich Friedrich Nietzsche zu dieser Generalabrechnung veranlasst:
„Nun aber eilt die Wissenschaft, von ihrem kräftigen Wahne angespornt, unaufhaltsam bis zu ihren Grenzen, an denen ihr im Wesen der Logik verborgener Optimismus scheitert. Denn die Peripherie des Kreises der Wissenschaft hat unendlich viele Punkte, und während noch gar nicht abzusehen ist, wie jemals der Kreis völlig ausgemessen werden könnte, so trifft doch der edle und begabte Mensch, noch vor der Mitte seines Daseins und unvermeidlich, auf solche Grenzpunkte der Peripherie, wo er in das Unaufhellbare starrt. Wenn er hier zu seinem Schrecken sieht, wie die Logik sich an diesen Grenzen um sich selbst ringelt und endlich sich in den Schwanz beisst – da bricht die neue Form der Erkenntniss durch, die tragische Erkenntniss, die, um nur ertragen zu werden, als Schutz und Heilmittel die Kunst braucht.“ |
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Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen gewesen wäre |
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Diese Idee durchzieht die Philosophie-Geschichte und über ihre Berechtigung gibt es wohl keine vernünftigen Zweifel, sodass hier eine genauere Erläuterung unterlassen bleiben kann. Interessant aber ist doch, was tatsächlich „in den Sinnen“ ist. |
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Der fraglos am weitestgehend erforschte Sinn ist der Sehsinn. Und wir wissen auch ohne Wortdefinition, dass wir „scharf“ und deutlich sehen. Doch wie diese Genauigkeit des Unterscheidens real zustande kommt, kann zum Nachdenken veranlassen.
Im Gegensatz zur logischen Auffassung bewegt sich das Auge ständig, sogar dann, wenn wir mit „starrem Blick“ die Aussenwelt betrachten. Seit etwa fünfzig Jahren sind diese unmerklichen Bewegungen als Sakkaden bekannt. Neuere Forschung entdeckte darunterliegend weitere Bewegungen: Mikrosakkaden. Diese Bewegungen sind in der Summe von Häufigkeit und Strecke keineswegs unerheblich und finden ruckartig, ohne bewusste Kontrolle statt. Dennoch haben wir keine Probleme mit einem klaren Sehbild. Auch rätselhaft sind Beobachtungen aus dem Weltraum, wenn russische Kosmonauten von Kratern in Tibet, Schiffen und auf der Strasze fahrenden Autos berichten. Die gängige Vorstellung, die Auflösung in Bildpunkte und Reize an Rezeptoren würde uns ein scharfes Sehbild übermitteln, erfährt auch durch diese Tatsachen eine herbe Erschütterung: die geschilderten Sehwahrnehmungen liegen nämlich deutlich unterhalb der Auflösungsgrenze. |
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Hilfe zum Verständnis solcher Unmöglichkeiten kommt aus der neurologischen Forschung. In einem Versuch mit einem Affen wurden diesem Impulse aus dem Wahrnehmungszentrum des Gehirns abgelauscht. Der Affe hatte einen Zeiger auf ein blinkendes Licht in einem Achter-Kreis zu stellen. Aufgezeichnet wurden die Impulse, die neuronal die acht Richtungen repräsentieren. Dabei stellte sich heraus, dass die genaue Richtung nicht einem eindeutigen Neuron zugeordnet werden konnte. Es feuern immer nahezu alle Neuronen, durchaus mit dem Schwerpunkt in der bestimmten Richtung, aber auch ganz entgegengerichtete Impulse treten auf. Die konkrete, bestimmte Richtung ergab sich auf diese Weise aus einem in den Details unscharfen Gesamtbild. |
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Mit diesem Versuch wird ebenfalls die Idee der „Trenn-Schärfe“ ins Wanken und schlussendlich zu Fall gebracht. Dem durchaus zu berücksichtigenden Argument, die Seh-Bilder würden letztlich aus unseren Vorstellungen hervorgebracht, kann entgegengehalten werden, dass ja auch diese auf gleichem Wege zustande gekommen sein müssen. |
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Unterschiedliche Erkenntnisarten |
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In einem weiten, jedoch strengem Sinne sind verschiedene Erkenntnisarten unterscheidbar.
Nur Erwähnung finden soll jene, die an unsere Körperlichkeit selbst gebunden ist und meist unbewusst bleibt, nur selten in den Bewegungen der Gliedmaszen zum Eindruck werden kann. |
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Vertrauter ist uns die Erkenntnis durch die Sinnestätigkeit (aisthesis), um deren Anerkennung noch andauernd gerungen wird. Wie wenig bezweifelt wird, dass nichts im Verstand ist, was nicht aus den Sinnen gewonnen wurde, so wenig wird sie als Erkenntnisart akzeptiert. Der naheliegendste Grund für diese Missachtung ist die anscheinende Schwäche gegenüber der logischen Erkenntnis. Diese bewegt sich auf einem allgemeinen Feld, folgt anerkannten Bedingungen und ist ausserhalb der Tatsachen nachvollziehbar. Ihre gröszte Überlegenheit aber verdankt sie wohl dem Umstand, dass wir scheinbar selbst die Antriebskraft für das Folgern und Schlieszen aufbringen. Wir nennen den Gedankenfortgang „unsere Überlegungen“ und unterstreichen damit eine vermutete Eigenleistung, die innerhalb des logischen Systems und empirisch überprüfbar scheint. Auch nicht übersehen werden sollte der Vorzug des Abstrakten, das uns oft der Widerborstigkeit der Tatsachenwelt überhebt. |
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Erkenntnis durch die Sinne ist konkret, individuell, situativ bedingt und heuristisch. Teilnehmend an der Erscheinungswelt erfassen unsere Sinne die Tatsachen. Was uns als solche erscheint, wird durch die vorgenannten Umstände bestimmt. Nicht durch das Fort- und Weiterdenken, sondern durch eine Gefühlswahrnehmung wird die Erkenntnis erlangt. Gemeint ist damit kein schwiemelig individualistisches Empfinden, sondern unmittelbare Wahrnehmung der Wesenswelt. |
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Damit soll nicht gesagt sein, dass sich die gesamte geistige Welt eröffnet. Wie Goethe bemerkt, verschieben wir durch solche Erkenntnis die Schwelle zwischen der Erscheinung und dem Wesen. Auch dem Anwurf, eine solche ästhetische Erkenntnis sei von aussen (von Anderen) nicht nachvollziehbar, soll entgegengetreten werden. Da es sich um eine konkrete Erkenntnis handelt, ist dieselbe natürlich nicht wiederholbar. Annäherung jedoch ist möglich, wenn berücksichtigt wird, dass die Wiederholung des Gleichen immer nur Ähnliches hervorbringen kann. |
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Der Gegensatz |
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Abgrenzung durch trennscharfe Definition beschert unserem Denken nicht nur die Verzweiflung einer ausufernden Kette nicht enden wollender Bedingungen, sie entfernt uns auch mit diesem Ausufern immer weiter vom ursprünglichen Kern des Gedankens.
Bestimmtheit aufzusuchen führt ins Zentrum der Tatsachenwelt. Dies erfordert allerdings eine gesteigerte Erkenntnis-Leistung des Individuums. Die spätere logische Verteidigung ist ebenfalls erschwert.
Findet die Abgrenzung innerhalb unserer Denkvorgänge statt, so ist sie eine – nicht zu verachtende – seelische Leistung (Welt 2). Im Versuch, in der Erscheinung zur Bestimmtheit des Wesens zu gelangen, erhebt sich die (ebenfalls seelische) Tätigkeit des Fühlens in die Wesenswelt (Welt 3) und erlangt so einen geistigen Einschlag.
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